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Zeitreise: Unterwegs im BMW LS Luxus von 1962

Der vielleicht ungewöhnlichste BMW, der auf den Wiener Wolfgang Denzel zurückgeht, rettete das Unternehmen.

08/04/2019, 04:00 AM

Rien ne va plus. Nichts geht mehr. Die Roulettekugel rollt und fällt auf die falsche Zahl. Unerbittlich greift sich der Croupier den verlorenen Einsatz. Das Spiel ist aus. Ende im Gelände. Schicht im Schacht. Vor 60 Jahren war BMW nicht weit davon entfernt. Das Unternehmen war in wirtschaftliche Schieflage geraten, am Spieltisch wartete Daimler-Benz nur darauf, sich die letzten kümmerlichen Chips unter den Nagel zu reißen. Doch buchstäblich in letzter Minute landeten die Bayern einen Treffer: den kleinen 700. Er wurde im wahrsten Wortsinne zum "Rettungswagen" für den Konzern. Wir waren unterwegs im BMW 700 respektive LS Luxus und erzählen seine Geschichte.

Los geht es vor 90 Jahren, als in Eisenach das erste BMW-Automobil vom Band rollt, der 3/15 PS. München ist bis 1945 für Motorräder und Flugmotoren zuständig. Am Kriegsende sind die dortigen Werke weitestgehend zerstört, in Eisenach entstehen unter sowjetischer Regie wieder Autos. Erst 1952 zieht "West-BMW" mit dem noblen 501 nach und zofft sich mit "Ost-BMW": Dort muss man fortan "EMW" an die Fahrzeuge schreiben, später liegt hier die Keimzelle des "Wartburg".

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BMW München sorgt mit dem 501 und seinem V8-Ableger 502 für Aufsehen, doch Massenware sind die Limousinen nicht. Schon eher die 1955 präsentierte, winzige Isetta, ein Lizenzbau aus Italien. So beliebt das Mikro-Mobil auch sein mag: BMW gerät immer mehr in die Bredouille. 501/502 und erst recht die sauteuren 503 und 507 verkaufen sich mau, an der Isetta verdient man praktisch nichts. Hinzu kommen Einbrüche im Motorradgeschäft und die für jedermann sichtbare riesige Lücke im Modellprogramm. Man steht mit dem Rücken zur Wand.

Bei der Hauptversammlung am 9. Dezember 1959 steht deshalb die Übernahme des Unternehmens durch die Daimler-Benz AG auf der Tagesordnung. Der damit verbundene Sanierungsplan stößt jedoch bei zahlreichen Kleinaktionären auf Widerstand. Im Verlauf einer turbulenten Diskussion gelingt es dem Rechtsanwalt Friedrich Mathern, Ungereimtheiten an den offiziellen Zahlen aufzuzeigen. So bemängelt er, dass die Entwicklungskosten (12,5 Millionen DM) für den BMW 700 unnötigerweise komplett in die Bilanz für 1958 eingeflossen waren. Zudem kritisiert er, dass der Wert der Marke BMW und seiner Belegschaft im Sanierungskonzept viel zu niedrig angesetzt worden waren. Daraufhin vertagt man die Versammlung mit der Folge, dass das befristete Angebot aus Stuttgart nicht mehr zum Tragen kam. BMW bleibt unabhängig, doch die finanzielle Not ist noch nicht beseitigt. Für Zuversicht sorgt erst das verstärkte Engagement des Großaktionärs Herbert Quandt, der im Jahr darauf einen neuen Sanierungsplan vorlegt und dabei auch die Interessen der Kleinanleger berücksichtigt.

Moment mal. BMW 700? Entwicklungskosten? Tatsächlich war BMW nicht tatenlos geblieben. Man wusste um die gestiegenen Ansprüche der Kundschaft, auch durch Konkurrenzprodukte wie den NSU Prinz, DKW Junior oder den Ford 12M. Mit Winzmobilen im Stil überdachter Motorräder mochte man sich nicht mehr zufriedengeben. Ein neuer, konventionell konstruierter Kleinwagen musste her, um die Umsatzeinbrüche zu kompensieren. Den entscheidenden Impuls lieferte der Wiener BMW-Importeur, Autokonstrukteur und ehemalige Rennfahrer Wolfgang Denzel. Er präsentierte dem BMW-Vorstand den Entwurf eines Zweitürers mit Stufenheck, den der italienische Designer Giovanni Michelotti gestaltet hatte. Der Prototyp geriet zur Grundlage für den BMW 700, der am 9. Juni 1959 erstmals präsentiert wurde. Mit den mehr als 190.000 bis 1965 verkauften Einheiten gelang es BMW, die wirtschaftliche Talsohle zu durchschreiten.

60 Jahre später steht solch ein BMW 700 vor mir. Genauer gesagt, ein LS Luxus von 1962. Ohne die Zahl 700 (vielleicht klang sie da schon zu mickrig gegenüber dem 1961 erschienenen 1500), aber mit 16 Zentimeter mehr Radstand und 3,86 Meter Länge statt der bisherigen 3,54 Meter.

In etwa das Niveau des heutigen Mini Dreitürers, aber viel hübscher. (Sorry, Mini...) Gut, es gab auch ein recht unproportioniertes Coupé, doch die Limousine vermag zu überzeugen: In der Rückansicht befriedigten angedeutete Heckflossen den Zeitgeschmack der 700er-Kunden, vorne hingegen wirkt der kleine BMW sehr ungewöhnlich. Keine Niere! Warum auch, schließlich arbeitet der Zweizylinder-Boxer im Heck. Aber lassen wir die Werbung von damals für sich sprechen: "Solide. Praktisch. Unkompliziert. [...] Ein Wagen mit außergewöhnlich guten Fahreigenschaften, mit sportlichen Temperament. Und das imponiert den Damen: Die elegante, rassige Form." Und seinerzeit noch viel wichtiger: "Diesen Wagen kann man sich ohne Sorgen leisten. Ein BMW für DM 4.985." Damit lag der LS Luxus in etwa auf VW-Käfer-Niveau, ein Angestellter verdiente damals um die 500 DM. 

Überhaupt haute die BMW-Werbung ziemlich auf den Putz: "Profilierte Leistung! 120 km/h Spitze, von null auf 100 km/h in 30 Sekunden." Ähm, wie bitte? Eine halbe Minute? Na, das kann ja heiter werden. Ich hocke mich in den blassgrünen LS Luxus und sehe mich erst einmal um. Wobei: Viel zu sehen gibt es eigentlich nicht. Zwei Rundinstrumente, ein paar Knöpfe sowie der obligatorische Aschenbecher und ein großes, schmales Lenkrad. Das Platzangebot geht für vier Leute in Ordnung, etwas störend für den Fahrer und Beifahrer sind die hineinragenden Radkästen. Chrom wertet das Cockpit und die vordere Haube auf, auf dem linken Kotflügel thront ein Außenspiegel im Hanuta-Format. Beim Nachbarschaftsvergleich beim samstäglichen Autowaschen machte der LS Luxus seinem Namen durchaus Ehre.

Nun aber Zündung des monströsen Motörchens! Doch wo? Man klärt mich auf: Vor dem Schalthebel befindet sich das Zündschloss, das zugleich als Diebstahlsperre wirkt. Ich drehe und der Zweizylinder-Boxer hämmert los. Sein Klang erinnert entfernt an den Citroën 2CV, dringt aber viel bassiger und kerniger an mein Ohr. Fast möchte ich sportlich sagen, schließlich war der BMW 700 im Motorsport nicht unerfolgreich, darunter Hans Stuck senior im offenen 700 RS.

Tatsächlich zieht der LS Luxus durchaus flott auf Tempo 50, fleißiges Schalten vorausgesetzt. Knüppelschaltung: Damals ein Ausweis der sportlichen Note, quasi das M-Paket der Adenauer-Ära. Die Straße ist frei, alle Fotos sind im Kasten, nun her mit der profilierten Leistung! Parallel zur Geschwindigkeit nimmt der Lärm zu, es scheint, als würde ich alle 30 PS (sogar 32 ab 1963) aufs Letzte auswringen. "Das Ergebnis - ein Erlebnis" jubelte die Werbung anno 1962. Da! Die Tachonadel zittert sich in die Nähe der 100! Genug für heute. Der alte Herr muss hier und jetzt keine Goldmedaille mehr gewinnen. Zwischen 70 und 80 km/h sind allemal genug, um im Tunnel beim funzeligen Licht der Scheinwerfer über die jüngere BMW-Geschichte zu sinnieren. 1959: die Rettung mit dem letzten Roulette-Chip. 1961: Debüt der "Neuen Klasse" in Gestalt des 1500. Kurz danach die Borgward-Pleite, BMW stößt in die Lücke der sportlichen Mittelklasse (Volksmund: BMW = Borgward Macht Weiter). 1966: Der endgültige Durchbruch mit der 02-Reihe. Heute ist BMW ein Weltkonzern mit Milliardenumsätzen. Fast vergessen ist dagegen sein Retter 700/LS Luxus: "Der Wagen mit Profil".

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