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Interview

Alfred Stern von Borealis: „Umweltbilanz ist extrem günstig“

Im Gespräch: Alfred Stern über die ehrgeizigen Ziele von Borealis als Materiallieferant für die Autoindustrie

von Maria Brandl

11/28/2014, 08:24 AM

Kurier: Eines der aufsehenerregendsten Modelle 2014 ist der Citroen Cactus. Nur wenige wissen, dass in ihm viel österreichisches Wissen und Material steckt. Was konkret?
Alfred Stern: Borealis liefert das Kunststoff-Granulat, aus dem die Firma Rehau zum Beispiel die Airbumps für den Cactus herstellt. Wir liefern für den Cactus aber auch Material für den Unterbodenschutz, für die Radkappenabdeckungen und dann noch verschiedene Materialien für den Innenraum. Insgesamt gehen unsere Materialien dort in 33 verschiedene Bauteile hinein, die aber nicht nur von Rehau hergestellt werden, vor allem in die Instrumententafel, in Abdeckungs- und Konsolenteile.

Kunststoffe gelten gerade bei Außenteilen von Autos als heikel, vor allem was Beständigkeit gegen Hitze oder UV-Strahlung betrifft. Was waren beim Cactus die größten Herausforderungen?
Stern: Man sieht in der Automobilindustrie seit vielen Jahren verschiedene Trends, einer ist Leichtbau. Kunststoff ist natürlich prädestiniert, um Leichtbau zu betreiben. Aber wenn man etwa einen Stoßfänger nimmt, so war der beim Vorgänger-Modell auch schon aus Kunststoff, da geht es nun um Verbesserungen. Wir arbeiten sehr stark daran, neue Materialien zu entwickeln, aus denen dünnere Bauteile geformt werden können oder die durch geringere Dichte – Kunststoffe haben ohnehin eine geringe Dichte – Gewicht sparen. Auch durch entsprechende Auslegung der Bauteile kann man einiges an Gewichtsersparnis herausholen. Wenn durch Leichtbau 100 kg eingespart werden, dann senkt das den Kraftstoffverbrauch um 0,3 bis 0,5 l/100 km. Beim aktuellen Golf 7 haben wir mehr als 25 kg Borealis-Kunststoff drinnen. Das heißt, wir machen hier schon Kraftstoffreduzierung, vor allem, wenn man das auf die Golfflotte hochrechnet, macht das einiges aus.

„Beim aktuellen Golf 7 haben wir mehr als 25 kg Borealis-Kunststoff drinnen”

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Das zweite Feld, das Kunststoff stark betrifft, ist Ästhetik und Aussehen, da geht es vor allem um Oberflächenaussehen, Gestaltungsfreiheit, Integrationsfähigkeit von mehreren Teilen zu einem großen Modul, was die Produktion vereinfacht und so Kosten spart. Beim neuen BMW X5 gibt es etwa ein Fendermodul vorne mit dem Scheinwerfer und dem Seitenmodul, da ist die Außenhaut aus Borealis-Kunststoff gemacht. Nicht nur wegen der besseren Gestaltbarkeit sowie der Gewichtsersparnis im Vergleich zu Metall, sondern auch aus Sicherheitsaspekten, vor allem was die Fußgängersicherheit betrifft. Die vorgeschriebene Energieabsorption, (Anm. die im Fall eines Aufpralls die Verletzungsschwere senken soll), kann man mit Kunststoff besser erreichen. Ein anderes Beispiel ist der tigerstreifenfreien Kunststoff, den wir entwickelt haben. Diese Tigerstreifen, Oberflächenschlieren, die nicht besonders gut aussehen, treten vor allem bei der Formung von Stoßfängern auf, die sehr große Bauteile sind. Wir haben ein Material gemacht, das dieses Problem vermeidet. Die Außenbeplankungen des neuen Smart sind ebenfalls aus unserem Kunststoff. Wir färben die Materialien auf die gewünschten Farben ein („moulded in colour“). Dann werden die Teile spritzgegossen und müssen überhaupt nicht lackiert werden. Da ist natürlich ganz wichtig, dass man ein homogenes Erscheinungsbild hat. Schwarz geht relativ leicht, aber die anderen Farben müssen über die Lebensdauer des Autos UV-stabil sein.

Wie garantieren Sie, dass Sie die Farbstabilität selbst bei millionenfacher Fertigung garantieren können?
Stern: Das funktioniert sehr gut. Wir arbeiten hier sehr eng mit unseren Kunden zusammen. Wir haben ein ziemlich großes Farblabor in Linz und stellen die Farben entsprechend der Spezifikationen ein. Das lässt sich auch gut reproduzieren.

Wie flexibel sind Sie bei Modefarben, seltenen Farbabstufungen?
Stern: Man kann ziemlich viele Farben einstellen, aber es ist nicht so viel möglich wie mit Lack. Aber die Farbgebung unserer Kunststoffe ist wesentlich umweltfreundlicher und kostengünstiger. Zudem wird so erheblich Gewicht eingespart.
Aber wir haben auch eine andere Lösung, vor allem für Fahrzeuge im höherwertigen Bereich, wo Lack von den Herstellern weiterhin gewollt ist. Da ist es wichtig, dass der Lack nicht vom Kunststoff abblättert. Da gibt es relativ anspruchsvolle Tests, wo die Teile mit Dampfstrahlern überprüft werden. Normalerweise gibt es eine Grundierung, dann den Lack und zum Schluss eine Schutzschicht. Die Grundierung ist wichtig, um das Abblättern des Lacks zu verhindern, etwa bei einem Rempler. Die ersten Kunststoffstoßfänger hatten dies früher oft. Wir haben ein System entwickelt, wo man diese Grundierung weglassen kann. Es reicht also ein zweischichtiges Lacksystem.

Wo ist das Zentrum für Entwicklungen von Borealis?
Stern: Wir haben vor ein paar Jahren in Linz das Entwicklungszentrum sehr stark ausgebaut. Wir haben dort über die Jahre mehr als 200 Mio. Euro in Forschung und Entwicklung investiert. Für uns war es ganz wichtig, in Linz auch eine gute universitäre Infrastruktur zu haben. Wir haben das auch unterstützt und arbeiten sehr gut mit der Johannes-Kepler-Universität in Linz zusammen. Daneben betreiben wir je einen Forschungs- und Entwicklungsstandort in Schweden und in Finnland. Für die Automobilindustrie forschen wir aber vor allem in Linz. Dort arbeiten in der Forschung und Entwicklung rund 350 Leute, aber nicht nur für automobile Anwendungen, sondern auch für Infrastruktur wie Gas-, Wasser- und Abwasserrohre sowie für fortschrittliche Verpackungen wie Lebensmittelverpackungen. Wir haben dort außerdem eine Anwendungstechnikabteilung, wo wir neue Probeteile herstellen können. Auch eine Minilackierstraße ist in Linz vorhanden. In Schwechat ist die Produktionsanlage, wo wir auch Polymere herstellen.

Wie lange dauert die Entwicklung eines neuen Kunststoffmaterials, etwa des tigerstreifenfreien Materials?
Stern: Bei grundlegend neuen Eigenschaften kann sie schon drei bis fünf Jahre dauern. Farbeinstellungen dagegen erfolgen in wenigen Wochen.

Wie läuft die Finanzierung im Kunststoff für automobile Teile ab? Beteiligen sich die Autohersteller an Entwicklungen wie in anderen Bereichen?
Stern: Nein, das ist bei uns nicht so. Wir kooperieren zwar sehr stark, aber wir bekommen das nicht vorfinanziert.

Ihre Kunden sind vor allem europäische Autohersteller?
Stern: Unsere Wurzeln sind in Europa, hier haben wir auch die größten Produktionskapazitäten. Aber mit Ende des Jahres werden wir mit der Eröffnung eines neuen Werks in Brasilien unsere Kapazitäten erweitern und dort auch an lokale Autohersteller liefern. Das sind nicht nur europäische, sondern auch asiatische Marken. Auch GM ist ein wichtiger Autohersteller in Brasilien. Einen weiteren Produktionsstandort haben wir in Nordamerika. Auch dort sehen wir großes Wachstumspotenzial. Wir haben außerdem ein sehr bedeutendes Joint Venture - Borouge - in den Vereinigten Arabischen Emiraten gemeinsam mit Abu Dhabi National Oil Company. Mit denen haben wir auch eine gemeinsame Produktion für automobile Werkstoffe in China. Von dort beliefern wir wieder lokale Hersteller, VW ist auch dort ein großer Kunde.

Wie zufrieden sind Sie mit der Kreativität und Innovationskraft in Europa?
Stern: Gerade im automobilen Bereich passiert hier wahnsinnig viel, auch bei Kunststoffen. Mit VW haben wir etwa einen Luftansaugkrümmer aus Kunststoff entwickelt, das ist weltweit einzigartig. Das ist ein wichtiger Bauteil im Motorraum, wo das gesamte Luftmanagement für den Motor geregelt wird. Diese Teile waren immer aus Druckguss, sind dann zum Großteil aus Polyamid hergestellt worden und wir sind die Ersten, die gemeinsam mit VW dies aus Polypropylen machen. So etwas erfordert sehr viel Innovationskraft, aber auch Nähe zum Kunden.

Wie stark profitiert ein Kunststoffhersteller wie Borealis von der Elektromobilität, wo der Gewichtsnachteil vor allem durch die Batterien den Druck zu Leichtbau in anderen Bereichen enorm erhöht?
Stern: Im Wesentlichen bleibt der Trend zur Gewichtseinsparung gleich, egal, ob das Auto mit Verbrennungs- oder mit Elektromotor angetrieben wird. Laut unserer Erfahrung werden 60% der Kunststoffe eingesetzt, um im Auto Komfort und Sicherheit zu erhöhen. 40% der Kunststoffe dienen der Gewichtsreduktion. Bei der Sicherheit geht es etwa um Airbags oder Rückhaltesysteme oder Stoßfänger. Diese Teile wären ohne Kunststoffe gar nicht machbar. Diese Teile wurden durch Kunststoffe, die sehr hohe Anforderungen erfüllen müssen, überhaupt erst möglich. Kunststoffe für die Gewichtsreduktion werden aber immer wichtiger.

BMW setzt bei E-Autos auf Kohlefaser, um Kilos einzusparen und so die Reichweite zu erhöhen. Wie steht Borealis zur Kohlefaser?
Stern: Unser Ziel ist es, mit unseren Materialien immer komplexere Aufgaben zu erfüllen, wo auch mechanische Eigenschaften gefordert sind. Polypropylen hat zwar geringere mechanische Eigenschaften als Kohlefaser, aber es sind sowohl die Material- als auch die Herstellungskosten von Kohlefaser weit höher.Unsere Kunststoffe sind mit den verschiedensten Materialien verstärkt. Wir haben Glasfaser oder verschiedene Mineralien als Verstärker. Es gibt noch einen interessanten Effekt bei Polypropylen:. Es hat einen deutlich tieferen Schmelzpunkt als viele andere technische Kunststoffe, um die 160-165 Grad Celsius. Dadurch lassen sich Fasern in Polypropylen einarbeiten, was bei anderen Kunststoffen nicht möglich ist. Dazu zählt etwa Holzfaser, die nicht sehr hitzebeständig ist, aber ausreichend hitzebeständig für Polypropylen. Damit ist nicht nur eine interessante Oberfläche möglich, das bringt auch Vorteile bei der Verarbeitung. Man braucht weniger Energie und dieser holzfaserverstärkte Kunststoff ist leichter als ein glasfaserverstärkter. Trotzdem kann man die Eigenschaften signifikant verbessern. Aber wir haben auch eine Variante, wo wir Zellulose als Verstärker einsetzen. Derzeit ist ja auch der Trend, erneuerbare Rohstoffe einzusetzen. Wir verwenden hier zum Beispiel 20 % Zellulose, was zusätzlich Vorteile bei der Dichte und bei der Verarbeitbarkeit bringt. Bei der Kohlefaser sind diese positiven Materialeigenschaften – tieferer Schmelzpunkt, Dichte, Verarbeitbarkeit etc. – nicht in der gleichen Form gegeben, außerdem sind sie teurer als Polypropylen.

Wir decken mit unseren Kunststoffen einen sehr breiten Bereich ab, von sehr weich bis sehr steif. Im sehr steifen Bereich haben wir etwa Langglasfaser-verstärkte Kunststoffe. Unsere sind spritzgussfähig, das heißt, sie können im normalen Produktionsprozess verarbeitet werden. Das erleichtert die industrielle Herstellung, die gefordert wird. Wir haben dafür sehr viel investiert und haben sehr gute Erfolge, um daraus Strukturbauteile herzustellen.
Bei Kunststoffen lässt sich die Materialeigenschaft nicht so leicht von Bauteileigenschaften trennen. Vielmehr hängen die Konstruktion und die Art der Verarbeitung sehr stark zusammen. Da gestalten wir sehr stark mit und versuchen uns einzubringen.

Früher galten die US-Autohersteller als große Förderer von Kunststoff im Auto. Wie sieht das heute aus?
Stern: Wir haben heute global ein sehr großes Interesse dafür.

Leichtbau wird nicht nur durch Kunststoffe ermöglicht. Wie sieht die Konkurrenz durch Leichtmetalle wie Magnesium oder Aluminium aus?
Stern: Die Kunststoffsparte von Borealis konzentriert sich sehr stark auf Polyolefine, Polyethylen und Polypropylen. Beide werden aus Abfallprodukten der Raffinerie, die sonst einfach verbrannt würden, gemacht. Das sind deshalb Produkte, die sehr wenige zusätzliche Verarbeitungsschritte brauchen. Die Umweltbilanz dieser Kunststoffe ist daher extrem günstig. Sie sind auch kostenmäßig sehr günstig und großtechnisch herstellbar und haben sich deshalb zu den Massen-Kunststoffen entwickelt. Wir sehen aus diesen Gründen aber auch sehr gutes weiteres Wachstumspotenzial. Früher wurden Glas, Metall, und Gummi sehr stark durch Thermoplaste ersetzt, die schmelzbar und formbar sind und dann wieder erstarren. Inzwischen haben wir hingegen durch unsere Innovationen die Eigenschaften von Polypropylen so stark verbessert, wie das Beispiel Luftansaugkrümmer zeigt, dass damit jetzt andere Kunststoffe ersetzt werden. Mit Polypropylen gibt es beim Luftansaugkrümmer einen Dichtevorteil von 30% etwa gegenüber Nylon, nur vom Material her. In der Nutzungsphase gibt es damit eine bessere Schalldämpfung. Es ist zudem leichter zu verarbeiten und obendrein auch vom Gewicht her leichter. Natürlich sind die Kosten immer wichtig. Aber sehr wichtig sind meist auch die mögliche Gewichtsreduktion sowie die Performance eines Materials.

Gegner von Kunststoffen kritisieren, dass sie auf Erdöl basieren.
Stern: Durch die Gewichtseinsparung etwa von 100 kg kann man über die Laufdauer eines Autos 500 l Treibstoff sparen. Das heißt, was bei der Herstellung an verursacht wird, wird durch Einsparung während der Nutzung mehr als kompensiert. Man muss ja bei dieser Frage immer auch die Alternativen betrachten. Insbesondere bei Polypropylen ist es sehr sehr schwierig, ein Material zu finden, das bei der Herstellung eine bessere technische Umweltperformance hat. Es wird wenig Wasser verbraucht, relativ wenig Energie, auch bei der Bauteilherstellung ist es sehr günstig. Über die Lebensdauer kann man dann zusätzlichen umwelttechnischen Nutzen hervorbringen. Die Sichtweise, Kunststoffe werden aus Erdöl hergestellt und sind deshalb schlecht, ist zu stark vereinfacht. Man muss eine gesamtheitliche Bilanz machen, von der Herstellung des Materials über die Nutzung bis zum Ende und da wird man kaum was Besseres finden.

Bei Kunststoffen kritisieren Gegner oft auch die geringere Wiederverwertbarkeit etwa im Vergleich zu Stahl.
Stern: Wir bei Borealis betrachten Nachhaltigkeit aus gesamtheitlicher Sicht. Wir haben zum Beispiel Kunststoffe entwickelt, die auf Postconsumer-Materialien (Anm. wiederverwerteten Kunststoffen) basieren. Die Kunst besteht darin, trotz des recycelten Kunststoff-Anteils neue Materialien mit Eigenschaften herzustellen, die sonst nur mit ausschließlich neuem Kunststoffmaterial möglich sind. Wir haben gerade drei verschiedene Kunststoffe auf den Markt gebracht, die zwischen 25 und 50% Recyclat enthalten, die auch in höherwertigen automobilen Anwendungen wieder eingesetzt werden können. Das ist gar nicht so einfach, das erfordert viel Technologie. Aber wir sind sehr interessiert, dies zu forcieren.

Sind diese Kunststoffe mit Recyclat auch vom Preis her vergleichbar mit jenen ohne Recyclat?
Stern: Wir verkaufen Eigenschaften. Wir möchten diese Materialien wettbewerbsfähig anbieten, aber es ist damit für uns schon ein höherer Aufwand verbunden.

Gibt es trotz des höheren Preises Nachfrage danach?
Stern: Ja, eine sehr starke. Auch von der Autoindustrie.

Beim Stahl oder Aluminium werden für bestimmte Eigenschaften teure Zusatzstoffe wie teure Metalle benötigt. Wie ist das bei Kunststoffen?
Stern: Da gibt es zwei wichtige Punkte. Der eine betrifft den Basiskunststoff. Den stellen wir zum Beispiel in unserem Werk in Schwechat her mit unserer so genannten Borstar-Technologie. Sie erlaubt hohe Qualitäten und Flexibilitäten. Dort lautet das Ziel die bestmögliche Balance zwischen den gewünschten Eigenschaften und der späteren Verarbeitbarkeit zu erreichen. Erst danach, und das ist der zweite Punkt, werden andere Stoffe dazugemischt wie etwa Glasfasern, um die Eigenschaften nochmals zu verbessern. Die Legierungsfunktion bei Metallen erfolgt bei uns durch die Polymermodifizierung.

Europa hat selbst wenig Rohstoffe. Wie beurteilen Sie die Versorgungssicherheit bei den von Ihnen benötigten Rohstoffen?
Stern: In Europa haben wir schon die Situation, dass die Kosten für nötige Rohstoffe, aber auch für Energie und Arbeit, im Vergleich zu anderen Regionen sehr hoch sind. Zudem ist Europa führend im Bereich der Umwelt mit sehr vielen Auflagen, was auch wieder zusätzliche Kosten verursacht. Borealis hat trotzdem die Strategie, in Europa weiter zu wachsen. Deshalb ist auch der Focus auf höhere Wertschöpfung durch Innovation so wichtig.

Wie groß ist für Borealis die Konkurrenz aus China?
Stern: Ich halte es für sehr wichtig, dass man hier realistisch ist und versteht, dass China heute nicht in allen Bereichen dort ist, wo wir sind. Aber China hat enorme Fortschritte gemacht. Der Pool an Forschern und Entwicklern ist enorm. China hat ein Potenzial, das man nicht unterschätzen darf. Viele chinesische Universitäten sind außerdem in internationalen Rankings weit vor österreichischen Universitäten. Das müssen wir realistisch sehen. Wir können nur überleben, wenn wir den Vorsprung beibehalten. Dazu muss man aber an dem Vorsprung arbeiten. Vorsprung behält man nur, wenn man schneller läuft als die anderen. Man muss grundsätzlich die Wettbewerbsfähigkeit sehen und da ist Österreich in den letzten Jahren zurückgefallen, nicht nur global, sondern sogar auch gegenüber Deutschland. Weltweit führend ist Österreich mit den HTL, in der Ausbildung von praxisorientierten Ingenieuren. Auch beider Lehrlingsausbildung haben wir eine gute Infrastruktur. Das alleine wird aber nicht ausreichen, um weiterhin wettbewerbsfähig zu sein.

Wie groß ist der Automobilbereich bei Borealis?
Stern: Genaue Zahlen geben wir nicht bekannt, aber es ist ein signifikanter Bereich. In den letzten fünf bis acht Jahren haben wir den Bereich verstärkt betrieben, um hier voranzukommen und innovativ zu sein. In Europa sind wir einer der Marktführer und wir sehen auch global Chancen, in dem Bereich weiter zu wachsen.

Werden wir in der Zukunft auch gesamte Karosserien aus Kunststoff sehen?
Stern: Außenteile ja, gesamte Karosserien eher nein. Interessant für uns ist die Tendenz der Autohersteller zu immer kleineren Serien, um möglichst viele Nischen zu besetzen. Während für große Stückzahlen mit mehr als 100.000 Fahrzeugen pro Jahr Metalle im Vorteil sind, wird Kunststoff vor allem bei kleineren Serien interessant.

Gilt noch 70.000 Jahresproduktion als Schwelle, wo Stahl billiger ist als Kunststoff wie auch die frühere Generation des Renault Espace gezeigt hat, der ursprünglich eine Kunststoff-Karosserie hatte?
Stern: Ja, ich kenne noch immer diese Zahl. Ich sehe drei große Einsatzgebiete für Kunststoff: Im Innenraum, außen, vor allem bei Anbauteilen, die aufgrund ihrer aktuellen Anforderungen nur mehr mit Kunststoff realisierbar sind, und als dritten Bereich den Motorraum. Dort gibt es noch viel Potenzial für Kunststoffe. Der vierte Bereich könnte sich mit neuen Antriebstechnologien eröffnen wie dem Elektroantrieb. Der bedingt auch ganz andere Bauteile mit neuen Anforderungen. Wir arbeiten auch mit Fahrzeugherstellern wie Tesla. Heute haben wir aber noch keine Teile in Tesla-Modellen, aber wir arbeiten daran.

Sind Sie zufrieden?
Stern: Bei Borealis sind wir nie zufrieden, aber froh über die Fortschritte.

Alfred Stern

Der Doktor der Werkstoffwissenschaft der Montanuniversität in Leoben kam 2008 als Senior Vice President für Innovation und Technologie zu Borealis, seit 2012 ist er Executive Vice President für Polyolefine von Borealis. Vorher hatte Stern, 49, der verheiratet und Vater zweier Kinder ist, verschiedene leitende Funktionen beim Chemiekonzern DuPont de Nemours in der Schweiz, in Deutschland und in den USA.

Vom Nordlicht zum Hochleistungskunststofflieferanten

Geschichte Borealis wurde ’94 mit Töchtern der Neste Oil, Finnland, und Statoil, Norwegen, gegründet. ’98 stieß ein Teil der früheren Chemie Linz dazu, OMV und IPIC (Abu Dhabi) stiegen als Investoren ein, ’06 kam der Firmensitz nach Wien. Borealis gehört heute zu 64 % der IPIC, zu 36 % der OMV. Statoil und Neste sind ausgestiegen. Mitarbeiterstand: ca. 6400 weltweit, Umsatz: 8,1 Mrd. €. Borealis produziert weltweit, ein sehr großes Werk ist in Schwechat.

Portfolio Borealis ist führender An- bieter von Polyolefinen, Basischemi- kalien und Pflanzennährstoffen. Für die Autoindustrie liefert Borealis ne- ben Kunststoffen für Innen- und Au- ßenteile auch "Adblue" (Harnstofflö- sung für SCR, ein Lkw- und Pkw-Ent- stickungssystem). Das Innovations- zentrum (350 Mitarbeiter) ist in Linz.

Auto In den letzten Jahren hat Bore- alis die Zusammenarbeit mit Auto- herstellern und -zulieferern (Tier 1) stark ausgebaut. Allein im VW Golf stecken 25 kg Borealis-Kunststoff, etwa im Armaturenbrettträger und Luftansaugkrümmer. Bei ihm senkt das Borealis Polypropylen-Glasfaser- Material im Vergleich zu Polyamid in der Produktion den Bedarf an Ener- gie um 45 %, an Wasser um 30 %. Wichtiger Kunststofflieferant ist Bo- realis auch für BMW, Nissan-Renault, Jaguar, Smart und künftig Tesla.

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