© AUDI/Sagmeister Photography

Interview

Audi-Designer Lichte: "Autos werden maximal ästhetisch“

Autos könnten in Zukunft völlig anders aussehen. Wie und woran das liegt, erklärt Audi-Chefdesigner Marc Lichte

von Andrea Hlinka

12/12/2021, 04:00 AM

Die Autowelt ist im Umbruch. Was bedeuten Digitalisierung und Elektromobilität für das Auto-Design? Der KURIER hat den Audi-Chefdesigner Marc Lichte befragt.

KURIER: Haben Designer durch den Umstieg von konventionellen auf elektrische Antriebe mehr Möglichkeiten bei der Gestaltung?

Marc Lichte: Absolut. Durch den Antriebswechsel können wir die schönsten Autos bauen, die es je gab. Das automatisierte Fahren verstärkt diese Entwicklung. Bislang stand am Beginn jedes neuen Projektes die Entscheidung für eine Plattform und den Verbrennungsmotor. Künftig wird das Interieur nicht mehr der Formgebung der Karosserie untergeordnet, sondern das Auto wird konsequent von innen nach außen gedacht.

Was zeichnet diese schönsten Autos aus?

Durch die neuen Plattformen und dadurch, dass die Batterie im Boden verbaut ist, sind kurze Überhänge und ein langer Radstand, dazu eine schlanke Kabine auf einem kräftigen Körper, möglich. Von diesen Proportionen habe ich mein Leben lang geträumt.

Wie viel Veränderung verträgt der Kunde, die Kundin?

Es gibt Hersteller, die sich mit ihren E-Modellen bewusst abgrenzen wollen, mit teilweise bizarren Proportionen. Bei Audi hat jedes Modell seinen eigenen Charakter und trotzdem ist es sofort als Audi erkennbar, zum Beispiel an dem typischen Singleframe. Unsere E-Modelle haben nun einen invertierten Singleframe, eine tiefe Haube und aerodynamische Elemente, wir setzen die Schulterlinie nach unten und betonen mit weich gezeichneten Linien die Muskeln der Fahrzeugsilhouette an Front und Heck. Und wir gestalten natürlich auch nicht im Vakuum: Bevor wir den ersten Strich auf weißem Papier zeichnen, überlegen wir genau, wer das Fahrzeug später fahren soll und wie die Welt beim Markteintritt wohl aussieht.

Werden die Autos gewagter?

Sie werden Schritt für Schritt progressiver. Der Einstieg in die Elektromobilität darf nicht zu einem Bruch führen. Wir wollen unsere Kunden auf dem Weg mitnehmen, es ihnen leicht und vor allem so schön wie möglich machen, indem wir die Autos maximal ästhetisch gestalten. Unsere Konzeptfahrzeuge, allem voran der Audi grandsphere concept, zeigen, wie progressiv sich unsere E-Designsprache entwickelt.

Kann auch ein günstiges Auto maximal ästhetisch sein?

Ja, sicher. Aber: Es darf nicht nur gut aussehen. Ein Beispiel: Ich habe zwei Töchter im Teenager-Alter, die sich für Fridays for Future engagieren. Für sie ist ein klassisches Interieur mit Lederausstattung nicht attraktiv. Das hat mich angeregt: Und so bietet der Audi e-tron GT zum Beispiel eine völlig lederfreie Ausstattung an, Bodenteppich und Fußmatten sind aus Econyl gefertigt, also zu 100 Prozent aus recycelten Nylonfasern. Sie stammen aus Produktionsabfällen, Stoff- und Teppichbodenresten oder Plastikmüll aus den Ozeanen. Wenn sich meine Töchter einmal ein Auto kaufen, stehen solche nachhaltigen Aspekte ganz oben auf ihrer Prioritätenliste.

Welches ist das schönste Auto, das je gebaut wurde?

Das schönste Auto, das ich jemals gezeichnet habe, ist der Audi e-tron GT. Außerhalb meines Arbeitsraums stellt für mich der Porsche 911 ein zeitloses Meisterstück dar. Der Großteil aller je produzierten 911er fährt noch auf der Straße. Nachhaltiger geht’s kaum. Und er bringt Gegensätze mit, die ich an gutem Design so liebe: Auch, wenn er ein leistungsstarker Sportwagen mit viel Power ist, kommt er gänzlich ohne Aggressivität in der Formensprache aus. Vielmehr scheint er mich durch die weich gestalteten Scheinwerfer mit runden Augen sympathisch anzuschauen.

Autobauen war immer eine Männerdomäne. Ändert sich das gerade?

Ich gehe viel weiter: Das gesamte Autobauen, wie wir es seit über 100 Jahren kennen, ändert sich gerade fundamental. Autos wurden bis dato immer gleich gedacht: Ingenieure entwickelten die Plattform, dann kam der Motor, anschließend hat man sich dem Interieur gewidmet. Durch die Elektromobilität, die Digitalisierung und auch das automatisierte Fahren, ändert sich das. Das Auto wird zu einem dritten Lebensraum. Für mich stellt sich die Frage nach Rollenbildern generell nicht.

Wer hat Sie geprägt? Mein Vater und mein Opa. Mein Vater war ein totaler Autofreak. Er ging in den 70er-Jahren jede zweite Woche bei Bergrennen an den Start. Fand einmal kein Rennen statt, hieß es Slalomfahren auf dem örtlichen Supermarkt-Parkplatz. Mein Opa war ein Künstler. Ich bin oft nach der Schule zu ihm gegangen und er hat mir alle Zeichentechniken beigebracht, die ich heute anwende. Immer, wenn mir im Unterricht langweilig war, zeichnete ich. Links in meinen Schulheften waren die Autos und rechts die Segelboote. Als ich zwölf Jahre alt war, habe ich einen Bericht über den neuen Studiengang Transportation Design in Pforzheim gesehen. Ich wusste damals sofort, das will ich machen.

Wo sind Sie am kreativsten?

Ich verbringe jede freie Minute auf meinem Segelboot, denn dort kann ich komplett abschalten. Die Ruhe ist unvergleichlich inspirierend.

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