Das Auto von Sigmund Freud, ein Gräf&Stift, Baujahr 1919. Am Fahrersitz der Chauffeur Josef Malina.
Das Auto von Sigmund Freud, ein Gräf&Stift, Baujahr 1919. Am Fahrersitz der Chauffeur Josef Malina.

© Privat

Geschichte

Auto-Klau: Was wirklich mit Freuds Auto geschah

Wie Sigmund Freuds Wagen von den Nazis enteignet wurde. Und weitere Auto-Geschichten.

von Susanne Mauthner-Weber

07/09/2013, 07:37 AM

Wir bestätigen das der Wagen Pol. Kennz. A 15744 am 19. März 1938 von Obersturmführer Müller der Gestapo in unserer Garage beschlagnahmt und in die Gußhausstraße (Zentralgarage) überstellt wurde. Heil Hitler.“ Berthold Klein & Co.Reparatur Werkstätte u. Garage.

Als der KURIER im Mai von einer Online-Datenbank zum Kraftfahrzeug-Besitz in Österreich vor 1938 berichtete, wurde auch die Geschichte von Sigmund Freud und seinem Auto erzählt: Auf den weltberühmten Psychoanalytiker waren 1938 ein Gräf&Stift und ein Steyr 50 Baby – damals so ziemlich das Modernste auf vier Rädern – angemeldet. Das weckte Begehrlichkeiten. Und so wurden, als die Nazis den jüdischstämmigen Freud vertrieben, seine Autos entzogen.

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Soweit die Mutmaßung von Christian Klösch, Historiker und Provenienzforscher am Technischen Museum Wien, der sich seit Jahren mit den Autos mit Vergangenheit beschäftigt und die Oldtimer-Datenbank aufgebaut hat.

Auto oder Abfertigung

Freuds Tochter Anna versuchte 1938, eines der konfiszierten Fahrzeuge für den Chauffeur der Familie, Josef Malina – „ein sehr braver Wiener Arier“ (Anna Freud in einem Brief) – zu retten. Fehlanzeige. Was weiter geschah, wusste bisher keiner.

Bisher! Denn nach der Veröffentlichung der Geschichte im KURIER meldete sich die Tochter besagten Chauffeurs. „Frau Malina erzählte mir, dass ihr Vater zunächst Privatchauffeur bei Julius Meinl gewesen war und später zu Freud wechselte. 1938, als der Professor das Land verlassen musste, fragte er seinen Chauffeur, ob er lieber eine Abfertigung haben möchte oder ein Auto.“ Josef Malina entschied sich für den Gräf&Stift, Baujahr 1919, und stellte ihn in der Garage eines gewissen Herrn Klein in Wien IX. ein. Klösch: „Einige Tage später marschierte Obersturmführer Müller von der Gestapo auf und beschlagnahmte das Auto mit den Worten: ,Ein Jud kann nichts verschenken!‘“

„Die Geschichte von Frau Malina ist natürlich der Clou“, sagt Historiker Klösch. Aber bei Weitem nicht der einzige Erfolg, nachdem er mit seiner Forschung an die Öffentlichkeit gegangen ist. „Gleich in den ersten zehn Tagen nach der Vorstellung der Datenbank hatten wir 2000 Besucher und Abfragen auf unserer Homepage“, erzählt der Provenienzforscher. 40 Personen haben sich dann persönlich bei Klösch gemeldet. „Und gaben Hinweise. Viele berichteten, dass sie ihren Großvater in der Datenbank gefunden hätten und stellen nun Fotos zu Verfügung.“ Teilweise haben sie dem Historiker Klösch die komplette Mobilitätsgeschichte der Familie von 1910 an zukommen lassen.

„Total ergiebig“, nennt er die neuen Erkenntnisse und berichtet von einer Ärzte-Familie, die zu den Auto-Pionieren des Landes gehörte. So schaffte der Stadtarzt in Graz-Eggenberg bereits 1909 einen Laurin&Clement an. Sohn Friedrich Grösswang, Landarzt in Großkrut und Präsident der Niederösterreichischen Ärztekammer, kaufte 1937 ein Steyr 220 Cabriolet. 7000 Schilling kostete der Oldtimer damals, verbrauchte 16 Liter auf 100 km, berichtet der Sohn Friedrich Grösswang. Und weiter: Im Krieg bekam man pro Monat 30 Liter Benzin zugeteilt. Klösch ergänzt: „Ärzte waren eine Berufsgruppe, die schon sehr früh – wegen der Patientenbesuche – motorisiert war. Ihre Autos waren an einem roten Winkel zu erkennen.“

Durch die Hinweise aus der Öffentlichkeit weiß Historiker Klösch heute sogar, dass ein „Halbjude“ namens Paul Weichsler, der seine „nichtarische Herkunft“ verschleiern konnte und Mitglied der Wehrmacht war, zuständig für den Entzug der Fahrzeuge war. Und dass viele der österreichischen Oldtimer nach dem Krieg in Moskau landeten.

Geräte und Geschichten

„Technische Geräte sind einfach technische Geräte“, sagt Klösch. „Interessant wird es erst, wenn man die Geschichten der Menschen, die mit den ersten Autos gefahren sind, kennt.“

Geschichten also. Wie jene, die Martin Kreuz beizusteuern hat: Sein Urgroßvater war Josef Ecker, Fuhrwerksbesitzer in Floridsdorf. Das Fuhrwerksunternehmen lässt sich bis in die 1920er-Jahre zurückverfolgen. Die Fotos, die Historiker Klösch nun in seine Datenbank einspeisen kann, „haben hohen zeit- und kulturgeschichtlichen Wert, weil sie die Frühzeit des Speditionsgewerbes dokumentieren“, sagt er und lernt gerade viel über den frühen Lastverkehr und die Konkurrenz zur Eisenbahn.

Skurril mutet dagegen jener Hinweis an, den Michael Hirschbichler von der Österreichischen Wasserrettung beisteuern kann: „Bei den Tauchgängen haben die Wasserretter Autowracks am Grund des Attersees entdeckt: Zwei Lastwagen – ein Renault und ein Chevrolet – „außerdem haben wir die Reste eines Steyr 50 Baby entdeckt“, erzählt Hirschbichler. Sogar das Kennzeichen lässt sich ungefähr entziffern. Hirschbichler tippt auf: OD 57402 und will beim nächsten Tauchgang genauer hinschauen. Klösch erklärt: „OD steht für Oberdonau, also ist das Auto sicher aus der Kriegszeit.“ Wie und warum es im See landete, bleibt vorerst ein Geheimnis.

Klösch vorläufiges Fazit: „Das Bild ist lebendiger geworden. Zu den trockenen Daten sind jetzt die Geschichten dahinter dazugekommen“. Und es bleibt spannend, denn das Projekt „Autos mit Vergangenheit“ ist nicht abgeschlossen. „Es lebt vom Input der Öffentlichkeit“, sagt der Wissenschaftler und will es auf den gesamten deutschen Sprachraum ausdehnen.

Der größte Autoraub der Geschichte

Wer in den 1930er-Jahren zur gesellschaftlichen Elite gehörte, nannte ein Automobil sein eigen. So auch Sigmund Freud. Auf den weltberühmten Psychoanalytiker war 1938 ein Steyr 50 – damals so ziemlich das Modernste – angemeldet. Das weckte Begehrlichkeiten. Und so wurde, als die Nazis den jüdischstämmigen Freud vertrieben, sein Auto mit dem Kennzeichen A 3523 von der Gestapo beschlagnahmt.

Woher man das weiß? Im Rahmen des „forMuse“-Forschungsprojekts am Technischen Museum Wien (TMW) wurden die Kfz-Besitzer Österreichs in den 1930er- und 1940er-Jahren ermittelt, digitalisiert und wissenschaftlich ausgewertet. Das Ergebnis ist eine Online-Datenbank zum Kraftfahrzeug-Besitz in Österreich vor 1938, die nun auf der Website des Museums abgerufen werden kann.

Christian Klösch, Historiker, Provenienzforscher und Projektleiter, konnte mit seinem Team 75 Prozent der Kraftfahrzeuge erfassen und kam für das Jahr 1938 auf 33.625 Pkw und 15.365 Lkw. „50 Prozent waren in Wien gemeldet, und 20 Prozent der Automobile waren Eigentum von Juden“, hat er ermittelt. „Mindestens 3000 Pkw wurden arisiert. Das war der größte Autoraub der Geschichte Österreichs. Man stelle sich vor: Heute würden 20 Prozent aller Autos geraubt – was für ein Aufschrei würde durch die Bevölkerung gehen“, sagt Klösch.

NS-Kfz-Raub

Wer also heute vorhat, einen Oldtimer zu kaufen, sollte unbedingt die neue NS-Kfz-Datenbank konsultieren. „Schon so mancher Oldtimer musste vor dem Verkauf zurückgezogen werden, weil er sich als Nazi-Raubgut entpuppte,“ sagt der Provenienzforscher. Beschlagnahmt wurde damals auf Grundlage einer Verordnung, die Juden zu Staats- und Volksfeinden erklärte: „Durch den Besitz eines Kraftwagens wird die notwendige staatspolizeiliche Überwachung erschwert bzw. überhaupt unmöglich gemacht“, lautete die stereotype Begründung.

Auf diesem Wege gelangte auch so mancher „Volksgenosse“ günstig zu einem fahrbaren Untersatz: Als Wiedergutmachung für erlittene Zurücksetzungen während des Ständestaates wurden ehemals illegale Nazis mit Kraftfahrzeugen aus dem Auto-Fundus der NSDAP belohnt.

Und auch Normalbürger konnten so günstig zu einem Gebrauchtwagen kommen. In Wien führte das Dorotheum 1938 Auto-Versteigerungen durch: Zu diesem Zweck zog die Gestapo an die 1100 Kraftfahrzeuge im Arsenal in Wien-Favoriten sowie auf dem Gelände der Brauerei Dengler in Wien-Floridsdorf zusammen und versteigerte sie. Ein Steyr Baby (Neupreis 5000 Schilling) ging um ein Drittel weg. Zum Vergleich: Der Monatslohn einer Sekretärin lag bei 200 Schilling.

Heute befinden sich noch etwa 2000 Kraftfahrzeuge mit einem Baujahr vor 1945 in österreichischem Privatbesitz. Das TMW besitzt 70. Und hat mittlerweile die Unbedenklichkeit der Herkunft nicht nur von Autos, sondern auch von alten Heißwasser-Erhitzern, Radios, Segelschiffsmodellen, Musikinstrumenten, ... ermittelt. Dank des „forMuse“-Projekts kennt man jetzt viele Geschichten. Wie die von Rosa Glückselig. Sie zählte zu jenen, die bereits vor dem 2. Weltkrieg ein Auto hatten. Wenige Tage nach dem „Anschluss“ 1938 durchsuchte die SA ihre Gemischtwarenhandlung in Wien-Hernals und konfiszierte ihren Fiat 522 C, Baujahr 1931. Nach dem Krieg landete er als Geschenk der Österreichischen Bundesgärten Schönbrunn im Depot des TMW. Bei weiteren Recherchen stellte sich seine Herkunft rasch als dubios heraus. 2008 wurde der Wagen an den Sohn der Eigentümerin restituiert und anschließend vom TMW wieder angekauft.

Über das Schicksal von Sigmund Freuds Steyr 50 weiß man dagegen wenig. 1938 hatte Tochter Anna noch versucht, das Fahrzeug von den Nazis zurückzuholen und ihrem Chauffeur Mallina, einem „sehr braven Wiener Arier“ (Anna Freud in einem Brief) zu schenken. Fehlanzeige. Historiker Klösch: „Das war ein sehr modernes Auto, wahrscheinlich wollte es die Gestapo als Dienstwagen.“

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