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Fahrbericht

Bentley Continental GT: Digital-Detox auf Knopfdruck

Mit dem vollkommen neu entwickelten Continental GT machen die Briten aus dem VW-Stall ihre meistverkaufte Modell-Linie zukunftssicher.

von Horst Bauer

05/11/2018, 05:00 AM

Der Spagat scheint gelungen. Die 3. Generation jenes Bentley, der 2003 die neue Ära der legendären Marke nach dem Split mit Rolls-Royce begründet hat, sollte einerseits optisch zeigen, dass es sich dabei um ein technisch vollkommen neues Modell handelt. Anderseits musste der neue Continental GT jederzeit als solcher erkannt werden können und so die Ahnenreihe ungebrochen fortschreiben.

Sieht man ihn auf der Straße, erfüllt der Neue nicht nur aus allen Blickwinkeln diese Kriterien, er sieht auch wesentlich stimmiger aus, als es nach den ersten offiziellen Bildern den Anschein hatte.

Und sitzt man erst einmal auf dem erstrebenswertesten Platz in einem Continental GT (das ist der mit dem Lenkrad davor, egal auf welcher Seite es sich auch findet), dann zeigt sich sehr bald, dass der Spagat auch in Hinsicht des Fahrerlebnisses gelungen ist.

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48 Volt an Bord

Trotz aller technischen Neuerungen, wie etwa jenem 48-Volt-Bordsystem, das im Bentayga erstmals eingesetzt wurde und das als „Active Anti Roll Control“ die Kurvenneigung der Karosse in engsten Grenzen hält, wird vom ersten Meter an die Botschaft vermittelt, dass es sich hier um keinen nervösen Hochleistungs-Sportwagen handelt, sondern um das, was die Briten als Grand Tourer bezeichnen.

Also Sport im Sinne von blauem Club-Blazer und nicht von verschwitztem Renn-Overall.

Dennoch ist es den (weitgehend von Porsche kommenden) Entwicklern gelungen, den neuen GT im Fahrbetrieb agiler und leichtfüßiger wirken zu lassen, als seine beiden modernen Vorgänger. Das liegt nicht so sehr an der auf 635 PS gesteigerten Leistung des 6,0-Liter-Biturbo-W12, als vielmehr an der neuen Gewichtsverteilung.

So rückte der um 30 kg leichtere und die Abschaltung von 6 Zylindern bei niedriger Last beherrschende Zwölfzylinder hinter die Vorderachse, was der Balance der Fuhre beim Einlenken merkbar guttut. Der um 12 mm längere Radstand und die Verschiebung der Karosserie-Überhänge (vorne weniger, hinten mehr) sowie die Programmierung des Allradantriebs (in der Sport-Stellung gehen im Normalfall 17% der Antriebskraft an die Vorderachse) tun ein Übriges zum agileren Eindruck.

 

Dass der mächtige Biturbo-W12 sein üppiges Drehmoment von 900 Nm zwischen 1350 und 4500 Touren vollinhaltlich zur Verfügung stellt, ergibt auch hier das von Bentley bekannte Gefühl, eine nie enden wollende Drehmoment-Welle abzureiten. Und lässt den Zeitbedarf für Überholmanöver auf das absolut notwendige Minimum schmelzen.

Womit wir bei einer anderen Neuerung wären, die noch für gemischte Resonanz bei der Kundschaft sorgen dürfte. Um die Sportlichkeit des GT im Gegensatz zu den Limousinen des Hauses zu unterstreichen (so die offizielle Bentley-Aussage), hat man beim Neuen auf eine allfällige Weiterentwicklung der bisherigen Wandler-Automatik verzichtet und stattdessen auf ein Doppelkupplungs-Getriebe gesetzt.

Allen Beteuerungen zum Trotz, man habe dieses bei unzähligen Abstimmungsfahrten so zurechtgefeilt, dass beim Gangwechsel kein Unterschied merkbar wäre, zeigten sich auf den ersten Kilometern auf heimischen Bergstraßen (wenn auch nicht am Glockner, der am Österreicher-Tag der Fahrvorstellung schneebedingt nicht befahrbar war) ein paar graue Flecken auf der weißen Weste.

Wird etwa aus einem höheren Gang heraus plötzlich die volle Leistung angefordert (klassische Überholsituation, wenn endlich die Bahn frei ist), kann die Fuhre ganz schön ruppig darauf reagieren. Hat man erst einmal gelernt, den Algorithmen durch manuelle Vorwahl des notwendigen Ganges auf die Sprünge zu helfen, lassen sich derart unelegante Momente zwar vermeiden, die angepriesenen Vorteile des Getriebe-Wechsels verblassen davor jedoch einigermaßen.

Digital-Detox

Apropos Algorithmen: Auch in Hinsicht auf Assistenzsysteme und Vernetzung ist man mit dem neuen Continental GT jetzt eindeutig auf der Höhe der Zeit (die Konzernschubladen sind in dieser Hinsicht ja reichlich gefüllt). Wem das Geflirre und Gewische auf dem Bordmonitor aber zu viel wird (etwa weil er auf der Fahrt aus dem von Computern übersäten Büro nach Hause etwas „Digial-Detox“ betreiben will (wie das Designchef Stefan Sielaff bezeichnet), dem gibt man eine elegante Möglichkeit dazu in die Hand.

 

Der zentrale Bildschirm lässt sich auf Knopfdruck wegrollen um den Blick auf drei klassische Rundinstrumente freizugeben (für Temperaturanzeige, Kompass und Stoppuhr).

Dass diese dann vor lauter die angepeilte Hochwertigkeit verstrahlendem Glitzern und Gleißen bei Tageslicht schwer ablesbar sind, mag jenen als Trost gelten, die nie in die Lage kommen werden, zumindest € 263.500,– Euro für eine Continental GT auszugeben.

Die Fakten

Antrieb Der neue Continental GT kommt vorerst nur in der 12-Zylinder-Variante. Mit dem V8 und einer Plug-in-Hybrid-Version ist später zu rechnen, auch wenn es dazu noch keine offiziellen Aussagen gibt. Der W12 TSI wiegt 30 kg weniger als der Vorgänger und leistet 635 PS bzw. 900 Nm max. Drehmoment (Plus 25%). Bei geringer Last werden 6 Zylinder als Benzinsparmaßnahme automatisch abgeschaltet.

Die Kraft wird mit einem 8-Gang-Doppelkupplungsgetriebe portioniert und von einem permanentem Allradantrieb übertragen.
Fahrleistungen: 3,7 Sec. von 0 – 100 km/h,  333 km/h Spitze (der automatische Abstandshalter funktioniert bis Tempo 250).
Normverbrauch: 12,2 l/100 km (278 g/km )

Abmessungen Länge: 4850 mm, Breite 1954 mm,  Radstand 2851 mm. Leergewicht  2244 kg.

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