Unterwegs im Audi A8 mit Staupilot
Unterwegs im Audi A8 mit Staupilot

© /Werk/Audi/Roman Raetzke

Fahrbericht

Der Audi-Staupilot im Fahrbericht: Vom Assistenten zum Piloten

Autonomes Fahren: Auf der IAA gibt Audi einen Ausblick auf die Zukunft. Bereits zu "erfahren" war der Staupilot.

von Maria Brandl

09/18/2017, 04:00 AM

Ungeduldig warten die Techniker mit den verklebten Audi A8 am Flughafen. Jede Minute können sich die morgendlichen Staus rund um Düsseldorf auflösen und damit die Voraussetzung, den neuen Staupiloten vorzuführen. Audi wagt als erster großer Autohersteller die nächste Stufe auf dem Weg zum autonomen Fahren (siehe Zusatzartikel).

Erstmals muss der Lenker in diesem abgegrenzten Bereich nicht mehr die Systeme überwachen, sondern nur mehr "wahrnehmungsbereit" sein, damit er gegebenenfalls innerhalb von 10 Sekunden die Fahraufgabe wieder übernehmen kann. Der Staupilot "ruft" etwa den Lenker, wenn 60 km/h überschritten werden oder plötzlich ein Tier oder ein Fußgänger auf der Autobahn von den Sensoren des Autos detektiert wird.

Der Staupilot funktioniert nur auf Autobahnen oder ähnlichen Straßen mit Fahrstreifen und klaren Begrenzungen. Der Staupilot lenkt, beschleunigt, bremst das Auto selbsttätig, die Spur wechseln kann er nicht, dafür bräuchte er auch seitlich das volle Sensorenpaket (siehe Audi A8: Die Sensoren).

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In Aktion

Nun aber los. Am Steuer sitzt Simon Ulbrich, Projektleiter. Journalisten dürfen aufgrund fehlender rechtlicher Grundlagen auf öffentlichen Straßen noch nicht diese Stufe 3 der Automatisierung ausprobieren, sondern erst später auf einem gesperrten Gelände. Der Autopilot wird aus rechtlichen Gründen erst ab 2018 länderweise eingeführt.

Doch zurück zur Autobahn. Anfangs herrscht flüssiger Verkehr. Der Techniker ist enttäuscht. Doch nach ein paar Minuten atmet er auf – ein Stau. Wir fahren auf der ganz linken Spur. Der automatische Abstandsregler ist eingeschaltet, das Tempo "grundelt" bei 10 km/h herum – ideal, um in der Mittelkonsole den "AI"-Knopf zu drücken. Im zentralen Anzeigenfeld zeigt die Farbe an den äußeren Rändern ebenfalls an, dass die Bedingungen für den Staupiloten passen, auf dem Anzeigenfeld erscheint ein Auto von hinten, das unsere Fahrt zeigt.

Der Techniker schaltet das Fernsehen ein, der Lenker könnte auch Mails schreiben oder lesen, jedoch nur übers große Display. Denn eine Kamera hat ihn im Blick, um sicherzustellen, dass er immer "wahrnehmungsbereit" ist. Würde etwa der Kopf des Lenkers hinter einer Zeitung verschwinden oder der Lenker in den Fond kraxeln wollen, würde das System sofort den Lenker auffordern, das Steuer zu übernehmen. Auch das Verlassen des Autos, etwa während eines längeren Stillstands im Stau, würde den Staupiloten sofort deaktivieren.

Gesetz

Neben der Kamera gibt es auch einen gesetzlich vorgeschriebenen "Datenlogger", um bei einem Unfall klären zu können, wer zum fraglichen Zeitpunkt den Wagen steuerte. Die Infos des Datenspeichers müssen laut Gesetz sechs Monate gespeichert bleiben, von den Kameraaufzeichnungen dagegen werden nur bei einem Unfall die letzten Sekunden gespeichert. Sie sind codiert, laut Audi sind keine Gesichter zu erkennen, nicht einmal, ob ein Mann oder eine Frau am Steuer saß. Sie dienten ausschließlich dazu, sicherzustellen, dass es ein Gesicht hinter dem Lenkrad gibt und die Augen offen sind. Im Falle einer Ohnmacht des Lenkers wird übrigens nach mehrmaligen Aufforderungen zur Übernahme des Steuers ein Notruf ans Callcenter oder an die Rettung abgesetzt und das Auto bei aktivierter Warnblinkanlage auf der Spur zum Stillstand gebracht.

Von Stufe 0 auf 5

Je nachdem, ob die Stufe 0 mitgezählt wird, gibt’s laut EU und USA fünf oder sechs Stufen bis zum vollautonomen Fahren.

Stufe 0: Fahren ohne Fahrassistenz.

Stufe1: Manuelles Fahren mit Fahrassistenz, z.B. mit ESP.

Stufe 2: Teilautomatisiertes Fahren, z.B. aktiver Spurhalteassistent, der den Pkw selbsttätig in der Spur hält, der Fahrer muss aber regelmäßig den Volant berühren, hat die Kontrolle.

Stufe 3: Hochautomatisiertes Fahren. Das Auto lenkt, bremst, beschleunigt selbsttätig, der Lenker muss nur "wahrnehmungsbereit" bleiben. Beispiel: Audis Staupilot.

Stufe 4: Vollautomatisiertes Fahren. Das Auto kann autonom fahren – aber nur in gewissen Bereichen, z.B. auf der Autobahn.

Stufe 5: Vollautonomes Fahren, wo die Autos keinen Lenker mehr brauchen.

Gesetzliche und technische Voraussetzungen

Fürs autonome Fahren müssen glo- bal das Zulassungs- sowie das Stra- ßenverkehrsrecht geändert werden. In Deutschland ist das hoch- und vollautomatisierte Fahren seit Juni 2017 "im Rahmen der bestimmungs- gemäßen Verwendung" erlaubt. In Österreich noch nicht. Der neue A8 hat ein zentrales Fahrerassistenz- steuergerät, das Funktionen von 28 bisherigen Steuergeräten übernimmt. An Sensoren gibt’s 12 Ultraschallsen- soren, vier Umgebungs-, eine Front- und eine Fahrerbeobachtungskamera, vier Mittelstrecken- und ein Lang- streckenradar, einen Laserscanner.

Auf der Jagd nach der verlorenen Zeit

"Stau ist verlorene Zeit", so Peter Bergmiller, Entwicklungschef des Audi-Staupiloten für den neuen A8.

Dieser soll "die Zeit für Kunden im Stau so angenehm wie möglich machen." Indem sie sich nicht mehr um die Fahraufgabe kümmern müssen, können sie diese Zeit nützen – lesen, schreiben oder einfach entspannen.

Tatsächlich können sich viele Autofahrer, die automatisiertes Fahren skeptisch sehen, einen Staupiloten vorstellen, der ihnen das lästige Dahinschleichen von und zur Arbeit während der Stoßzeiten abnimmt. Audi ist der Erste, der so einen Staupiloten in Serie bringt und damit die Stufe 3 auf der fünfteiligen Skala bis zum vollautonomen Fahrzeug, das ohne Lenker, Pedale und Lenkrad auskommen wird. Audi ist innerhalb des VW-Konzerns für automatisiertes Fahren zuständig.

Sehendes Auto

Damit der Lenker wirklich alle Fahraufgaben an den Bordrechner abgeben und nicht einmal wie bisher zwischendurch das Lenkrad berühren muss, muss das Auto sein Umfeld komplett "sehen" und daraus die richtigen Schlüsse ziehen. Dazu sind nicht nur verschiedene Sensorarten wie Radar, Laser, Kameras und Ultraschall nötig (siehe Zusatzartikel), sondern auch eine fehlertolerante Datenverarbeitung und -auswertung in Echtzeit.

Hier kommen die Spezialisten der Wiener Firma TTTech ins Spiel, die mit ihrem zeitgesteuerten fehlertoleranten Kommunikations-Protokoll TTP als Unternehmen starteten und sich inzwischen als Spezialist auf dem Gebiet nicht nur für Autos, sondern auch für die Weltraum-, Luft- und Schifffahrt, aber auch die Industrie etabliert haben. Audi ist seit 2006 an TTTech beteiligt.

Software-Revolution

Der A8 wurde von Grund auf für diese Stufe des automatisierten Fahrens entwickelt, das brachte eine völlige Änderung der bisherigen Elektronik-Architektur. Erstmals sind alle nötigen Fahraufgaben in einem zentralen Fahrerassistenz-Steuergerät zusammengefasst, die vorher auf 28 Steuergeräte aufgeteilt waren.

Wie kompliziert ein sicherer Betrieb in der Realität mit Fahrassistenz-Systemen ist, weiß jeder, der öfter mit ihnen unterwegs ist: Die meisten sind heute "Schönwetter-Systeme", die Tempolimitanzeige ist ein Lotteriespiel und Fahrten mit selbstfahrenden Autos können heute schnell fatal enden, wenn nicht ein Mensch die Situation durch seine Expertise rettet.

Beim Stauassistenten darf dies nicht passieren. Allein bei der Tempolimitanzeige verspricht Audi eine deutliche Verbesserung, indem das System nicht nur der Kamera vertraut, die sie einliest, sondern deren Angabe online mit Daten eines Verkehrsrechners vergleicht. Und sollte sich der Staupilot nicht mehr auskennen, muss ohnehin der Lenker einspringen – innerhalb von 10 Sekunden. Übernimmt der Lenker trotz mehrerer Aufrufe nicht, wird ein Notruf abgesetzt, der Warnblinker aktiviert und werden die Türen entriegelt. Die Haftung liegt auch bei dieser Stufe des automatisierten Fahrens beim Lenker.

Bei der A8-Vorstellung sprach die Autorin mit den TTTech-Gründern Stefan Poledna und Georg Kopetz über ...

... die Sicherheit des Systems:"Das zentrale Steuergerät, das die Fahraufgabe beim Staupiloten übernimmt, erfüllt den höchsten Standard ASIL D. Es ist das erste Fahrzeug, das Level 3 Automatisierung anbietet. Somit kann der Fahrer im Stop-and-go-Verkehr auf Schnellstraßen und Autobahnen die Fahraufgabe dem Fahrzeug überlassen und sich selbst mit anderen Dingen beschäftigen. Das System ist redundant ausgelegt, das heißt, wenn eine Komponente versagt, übernimmt eine andere die Aufgabe. Selbst wenn das 48-V-System ausfällt, kann das Auto mit dem 12-V-System sicher zum Stillstand gebracht werden."

... die nötige Dateninfrastruktur: "Der Staupilot im A8 braucht weder ein LTE- noch 5G-Netz, um sicher zu funktionieren."

... die Datenmengen, die im zentralen Fahrassistenz-Steuergerät verarbeitet werden müssen: "Das neue zentrale Fahrassistenz-Steuergerät hat mehr Rechenleistung als ein Audi A4 der vorigen Generation. Es kann mehr als 6000 Megabit/sec verarbeiten, damit ist es etwa 12.000 mal so schnell wie ein CAN-Bus. Bei der Vernetzung im Steuergerät handelt es sich um deterministisches Ethernet, das ist die Weiterentwicklung von Flexray, das heute in Luxuslimousinen dominiert."

... die Aufgabe von TTTech: "Wir müssen sicherstellen, dass das Zusammenspiel zwischen der Meldung der Sensoren am Auto und der Funktion des betreffenden Aktuators, etwa zwischen Radar und Bremssystem, perfekt funktioniert. Das ist die Verantwortung von TTTech."

Umfelderkennung

Sensoren Grundvoraussetzung für automatisiertes Fahren, selbst in einem Teilbereich wie Staus, ist die lückenlose und permanente Erfassung durch das Auto. Der A8 setzt dafür auf

12 Ultraschallsensoren an Front, Flanken und Heck

vier Umgebungskameras an Front, Heck und Außenspiegeln

eine Frontkamera (Mono) am oberen Rand der Windschutzscheibe

vier Mittelstreckenradare an den Fahrzeugecken

einem Langstreckenradar an der Front

einen Laserscanner an der Front (Weltneuheit)

sowie eine Infrarotkamera (Nachtsichtassistent) an der Front.

Rechner Das Tablet-große zentra- le Fahrassistenz-Steuergerät ist von Delphi und integriert Rechner von NVIDIA (Tegra K1), ALTERA (Cyclon V), Infineon (Aurix) und den Bildverarbeitungsprozessor EyeQ3 von Mobileye. TTTech lie- fert die Plattform-Software, das Sicherheitskonzept und integriert die Software.

Strahlung Die Lichtimpulse des Laser werden fächerartig auf ein Feld von 80 m Länge und 145 Grad Öffnungswinkel verteilt. Die Lichtblitze sind mit ihrer Wellen- länge laut Audi im nahen Infrarot- bereich und so fürs menschliche Auge unsichtbar und ungefährlich. Sie werden von den Objekten vor dem A8 reflektiert und kommen in weniger als einer Mikrosekunde zum Laserscanner zurück, wo sie verarbeitet werden. Laserscanner funktionieren auch im Dunkeln. Ohne den jüngsten Innovations- sprung durch den französischen Zulieferer Valeo wären Laserscan- ner zu groß und viel zu teuer (Google Car: ca. 50.000 €). Der Neue ist faustgroß und im Front- stoßfänger untergebracht. Er kos- tet einige 100 €. Der nächste Sprung ist 2020 zu erwarten dank Laserdioden.

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