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Interview

Die nächste große Faszination

„Motorenpapst“ Prof. Lenz über Alternativ-Antriebe, Fahren ohne Lenker und Konkurrenz aus China

von Maria Brandl

09/05/2014, 09:07 AM

Prof. Hans Peter Lenz, Vorsitzender des Österreichischen Vereins für Kraftfahrzeugtechnik (ÖVK) und langjähriger Vorstand des Instituts für Verbrennungskraftmaschinen und Kraftfahrzeugbau an der TU Wien ist nicht nur einer der profiliertesten Motorenexperten, sondern ist einer der Väter des Erfolgs der heimischen Autozulieferindustrie. Prof. Lenz ist zudem Veranstalter des renommierten Internationalen Wiener Motorensymposiums, das heuer zum 35. Mal in der Wiener Hofburg stattfand. Anlässlich des 80. Geburtstages findet an der TU Wien im November eine große Jubiläumsfeier statt.

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Prof. Lenz im Gespräch mit dem Motor-KURIER über

... künftige Treibstoffe für Pkw: Der Kraftstoff wird in den nächsten 20 Jahren so ähnlich sein wie jetzt, aber natürlich wird er ständig verbessert. 20 Jahre sind der Zeitraum, wo man seriös Entwicklungen vorhersagen kann. Nach den aktuellen Erkenntnissen reichen die Rohöl-Reserven für mehr als 50 Jahren, die Ressourcen für rund 180 Jahre. Reserven sind die sicher nachgewiesenen und wirtschaftlich nutzbaren Vorkommen, Ressourcen sind Vorkommen, die noch nicht wirtschaftlich abgebaut werden können oder deren Verfügbarkeit nicht gesichert ist. In Anbetracht dieser Erkenntnisse frage ich mich: Warum die ganze Aufregung? Erdöl kommt quasi gratis aus dem Boden. Das ist immer billiger als Wasserstoff aus überschüssiger Windkraft herzustellen. Diese Lösung ist dann interessant, wenn es Probleme mit dem aktuellen Kraftstoff gibt.

... Wasserstoff: Bei Wasserstoff ist die Infrastruktur ein noch größeres Problem als bei Strom. Selbst in Kombination mit der (Anm. im Wirkungsgrad dem Verbrennungsmtoor deutlich überlegenen) Brennstoffzelle frage ich mich, wie kann das ein Anbieter solcher Fahrzeuge aushalten, auch gegenüber ihrer Aktionäre, 10 Jahre damit Verlust zu machen. Toyota (Anm. bringt 2015 Brennstoffzellenautos auf den Markt) meint, dass Brennstoffzellenautos genauso lange für den Erfolg brauchen werden wie Hybridautos, rund zehn Jahre. Aber natürlich hat die Einführung solcher Autos einen gewissen Werbewert.

... Biokraftstoffe auf Pflanzenbasis: Da war man zu optimistisch, zu euphorisch, außer in einigen Ländern wie Brasilien.

... die Alternative Gas: Es gibt keinen technischen Grund gegen Gas, aber die Leute haben Angst. Gastanks sehen ja ein bisschen wie Bomben aus und auch in Österreich gibt es regelmäßig Gasexplosionen. Gas wird es schwer haben, außer man fördert es durch steuerliche Anreize.

... künftige Antriebe: Es tut mir fast leid, aber wir werden auch in 25 Jahren noch hauptsächlich mit Verbrennungsmotoren fahren. Einen größeren Anteil an E-Autos wird es nur geben, wenn Städte alle anderen Autos ausschließen. Die Verbesserungen beim Verbrennungsmotor sind ja größer als bei der Batterie. Aber grundsätzlich schreitet die Elektrifizierung des Antriebs voran. Sie wird überall dort eingesetzt, wo der Verbrennungsmotor schlecht ist. Der geplante E-Turbo, der mit der Einführung des 48-Volt-Bordnetzes möglich wird, tut zum Beispiel dem Verbrennungsmotor unheimlich gut. Alle Schwierigkeiten mit der Gasannahme sind mit dem E-Turbo gelöst.

... über die künftig richtige Größe des Verbrennungsmotors: Die Zylinderzahl wird sicher sinken. Früher galt ein Achtzylinder mit einer Viergang-Schaltung als ideal, heute ist es ein Vierzylinder mit Acht-Gang-Schaltung. Unterm Strich bleibt die Summe also gleich. Acht- und Zwölfzylinder wird es aber auch weiter geben, vor allem in den USA und in China. Es ist aber die Frage, ob man sich die (Anm. hinsichtlich der Emissionen) leisten kann.

... neue Trends, auch bei Vierzylinder-Motoren Zylinderabschaltung anzuwenden oder bei einem Dreizylinder bei Bedarf einen vierten Zylinder dazuzuschalten: Die Abschaltung von zwei Zylinder bei Vierzylinder-Motoren ist eine richtig komplizierte Angelegenheit, anders ist das bei Achtzylindern, die auf vier Zylinder heruntergeschaltet werden. Hinsichtlich des zuschaltbaren vierten Zylinders besteht die Frage, wozu, wenn ein Dreizylinder-Motor gut läuft. Bei Zweizylinder-Motoren bin ich skeptisch, weil Leute damit gerne hochtourig fahren und dann steigt der Verbrauch.

... die künftige Strahlkraft des Automobils: Die nächste große Faszination sind das vernetzte und später das autonome Fahren. Meiner Meinung nach wird aber immer ein Fahrer hinter dem Lenkrad sitzen müssen, um bei Bedarf das Kommando zu übernehmen. Aber ich glaube nicht, dass man gänzlich auf den Lenker verzichten kann, dass etwa der Fahrer während der Fahrt schlafen kann. Ich halte aus diesen Gründen für unwahrscheinlich, dass sich der Ansatz des Google-Autos, das kein Lenkrad und keinen Fahrersitz hat, durchsetzen wird.

... die Vorteile des automatischen Autofahrens: Es eröffnet dem Auto eine völlig neue Dimension. Damit könnten sich heute fahruntaugliche Personen autonom bewegen. In den USA kann etwa schon heute auf diese Weise ein blinder Mann selbst seine Einkäufe erledigen. Zudem könnten wir mit autonom fahrenden Fahrzeugen auch größere Strecken fahren, etwa WienPalermo, was heute für einen Menschen als Fahrer viel zu viel und gefährlich wäre.

... die Hindernisse auf dem Weg zum autonomen Fahren: Derzeit fehlen noch einige rechtliche Voraussetzungen. Aber die werden den Fortschritt der Technik nicht aufhalten. Auch in der Bevölkerung gibt es eine große Abwehrhaltung. Automatisches Fahren könnte auch für den Fahrspaß nachteilig sein. Eine weitere Frage ist die Kommunikation mit anderen Verkehrsteilnehmern. Etwa wie reagiert die Automatik auf Handzeichen oder auf Augenkontakt? Es gibt zudem große Unterschiede zwischen den Nationen. In Italien etwa funktioniert das Reißverschlusssystem sehr gut, bei uns dagegen nicht.

... die ersten Anwendungen des autonomen Fahrens: Das Auto könnte etwa selbst in die Garage fahren. Das hätte gleich mehrere Vorteile: Die Autos könnten enger geparkt werden, in Garagen hätten so mehr Pkw Platz. Die Menschen müssten sich auch nicht mehr vor unübersichtlichen oder finsteren Tiefgaragen fürchten. Zudem wäre das für die Technik auch einfacher, da in der Garage weniger Fußgänger unterwegs sind als etwa auf der Straße, die Sicherheitsanforderungen sind somit nicht so komplex wie im Stadtverkehr. Aber bis zur Serienreife wird es noch Jahrzehnte dauern. Im ersten Ansatz könnte es für schwere Lkw im Ferntransport realisiert werden, so wie Daimler es heuer vorgestellt hat. Eigene Spuren für diese Lkw wären nicht nötig, die Fahrer könnten dadurch aber entlastet werden und andere Aufgaben während der Fahrt übernehmen.

... die Rolle Europas bei der Entwicklung selbstfahrender Autos: In der Technik des autonomen Fahrens ist Europas Industrie sehr gut aufgestellt. Sie hat auch sehr viel Erfahrung damit. Bereits in den 70er Jahren hat ein Experte von der Universität der Deutschen Bundeswehr auf meine Einladung dazu einen Vortrag in Wien gehalten.

... den enormen Erfolg der Alternative, die Prof. Lenz 1978 Bundeskanzler Kreisky vorschlug, als die Idee des „Austro-Porsche“ endgültig gescheitert war: Die Idee, in Österreich Komponenten für die Autohersteller oder Autos mit kleinen Stückzahlen wie den damaligen Puch G zu bauen, war erstaunlich erfolgreich. Damals konnten auch große Hersteller wie GM oder BMW dafür gewonnen werden. Anfangs wurden im GM-Werk in Wien-Aspern neben Motoren und Getriebe auch Einspritzdüsen gebaut. Wir haben damals oft scherzhaft gesagt, dass in Österreich pro Kopf die meisten Einspritzdüsen sowie Motoren gebaut werden. Auch Forschungseinrichtungen wie die AVL haben davon profitiert. Die AVL beschäftigt heute weltweit 6500 Mitarbeiter.

... die Bedrohung der heimischen Autozulieferer durch Billig-Konkurrenz: Wir brauchen nicht an China zu denken, es genügt die Konkurrenz aus Ungarn. Dabei geht es nicht nur ums Geld, sondern auch um Flexibilität, etwa hinsichtlich der Arbeitszeit, wenn kurzfristig Zusatzschichten nötig sind. Österreich ist die Arbeitszeitregelung betreffend sehr human, das ist schön für die Österreicher. Aber man sollte mehr auf die Nachbarländer schauen. Wenn die bei den Regelungen großzügiger sind, muss man auch großzügiger sein.

... die Klage der Industrie über immer schlechter ausgebildete Berufseinsteiger: Die Ausbildung an Universitäten ist nicht schlechter geworden. Jeder, der bestrebt ist und sich anstrengt, bekommt in Österreich eine gute Ausbildung. Bei Schulen ist dies offenbar anders. Das hängt von der Schule ab, aber auch die Herkunft der Kinder spielt eine Rolle, weil die Hilfe für Kinder aus kleinen Verhältnissen oft geringer ist. Was den Nachwuchs für Maschinenbau betrifft, so müsste bei Kindern mit 12 oder 13 Jahren spätestens dafür geworben werden. Die große Hälfte, die Frauen, fehlt uns überhaupt. Wobei ich mich freue, dass ich relativ viele Frauen als Dissertantinnen hatte, absolut waren das trotzdem nur wenige. Aber sie waren alle sehr erfolgreich.

... die schwindende Lust am Handwerken generell und dem damit einhergehenden Praxisbezug: Man muss sich auch beim Auto davon verabschieden, dass man etwas selbst reparieren kann. Auch als Fachmann kann ich bei einer Panne nur in den Motorraum schauen und etwas Triviales machen, etwa Öl nachfüllen, für alles andere braucht man das entsprechende technische Equipment. Mir tut das nicht leid, weil ich immer nach vorne schaue. Aber es ist wohl ein Grund, warum es in Österreich mehr als 300 Oldtimer-Clubs gibt, wo Menschen alte Autos reparieren.

Prof. Hans Peter Lenz Der promovierte Maschinenbauer leitete von ’74 bis ’02 das Institut für Verbrennungskraftmaschinen und Kraftfahrzeugbau an der TU Wien. Lenz wurde ’34 in Bonn geboren. Vor seiner Berufung nach Wien war er bei Mercedes tätig. Sehr schnell errang er internationales Ansehen. Einerseits durch die Lehrtätigkeit (unter ihm studierten Topmanager wie Herbert Demel, Leopold Mikulic, Wolfgang Ullrich), andererseits als Gründer des Int. Wiener Mo- torensymposiums und des ÖVK (Öst. Verein für Kfz-Technik).

Sein Nachfolger an der TU Wien ist Prof. Bernhard Geringer.

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