_lor8033.jpg

© Ferrari

Fahrbericht

So fährt sich der erste Ferrari mit Stecker und 1.000 PS

Ferrari SF 90 Stradale Assetto Fiorano: Der extremste Serien-Ferrari aller Zeiten im Einsatz in Fiorano- Mit Video.

von Horst Bauer

07/09/2021, 03:00 AM

Wo hier die Prioritäten liegen, wird gleich zu Beginn deutlich. Bei der technischen Präsentation des ersten Ferrari der Geschichte mit Plug-in-Antrieb, lässt sich ausgerechnet der für die Hybrid-Entwicklung zuständige Ingenieur auf dem falschen Fuß erwischen. Und zwar durch die simple Frage, wo sich denn am SF 90 der Stecker für das Ladekabel befindet.

Antwort von Luca Poggio vom Hybrid-Department der Ferrari-Entwicklungsabteilung: "Ich kann nur sagen, dass er gegenüber des Tankstutzens ist. Aber ich habe keine Ahnung, ob des jetzt rechts oder links am Auto ist."

ein ActiveCampaign Widget Platzhalter.

Wir würden hier gerne ein ActiveCampaign Widget zeigen. Leider haben Sie uns hierfür keine Zustimmung gegeben. Wenn Sie diesen anzeigen wollen, stimmen sie bitte ActiveCampaign zu.

Man darf also davon ausgehen, dass das gute Stück während der Entwicklungsarbeit eher selten benutzt wurde. Der Strom für die hinter den Sitzen in einem querstehenden Riegel untergebrachte Hochvolt-Batterie (Kapazität 7.9 kWh) kommt vorzugsweise von dem dahinterliegenden Achtzylinder-Motor bzw. der beim Bremsen rekuperierten Energie. Und ist vornehmlich dazu da, die drei Elektromotoren als Booster für den ohnehin schon 780 PS leistenden Verbrenner zu nutzen und Allradantrieb mit Torque-Vectoring zu ermöglichen.

Elektromotoren statt Retourgang

Dass man theoretisch auch bis zu 25 Kilometer rein elektrisch fahren kann (und in dem Fall erstmals mit einem Ferrari mit Frontantrieb unterwegs ist), ist eher als in Kundenhand wohl kaum je genutzter Beifang zu werten. Bis auf jene Momente, in denen der Retourgang gebraucht wird. Den haben die Entwickler bei dem neuen 8-Gang-Doppelkupplungsgetriebe aus Gewichtsgründen eingespart. Zurückgeschoben wird in einem SF 90 nämlich nur via der elektrisch angetriebenen Vorderräder.

Denn Gewichtseinsparung war das oberste Ziel bei dem Auftrag, einen zeitgemäßen Nachfolger für Ferraris vom Schlage eines F40 oder Enzo zu entwickeln. Schließlich musste das durch den Plug-in-Antrieb bedingte Zusatzgewicht möglichst an anderen Stellen wettgemacht werden.

Titan und Karbon

Auf die Spitze getrieben wurde dieses Thema im vorliegenden Fall des Ferrari SF 90 Stradale in der auf absolute Sportlichkeit ausgelegten Spezifikation namens Assetto Fiorano, der einer handvoll internationaler Fachjournalisten auf der namensgebenden Haus-Teststrecke von Ferrari kürzlich zur eingehenden Erprobung überlassen wurde. Hier wurden aus den 1.570 kg Trockengewicht des "normalen SF 90 Stradale" noch einmal 30 kg herausgeschnitten. Erreicht wurde dies unter anderem durch die Verwendung von Karbonfaser für Türverkleidungen und Unterboden oder Titan für die Federn und die Auspuffanlage. In der Anwendung auf der Rennstrecke nicht zu unterschätzender Bonus der Ferrari SF Stradale 90 Assetto Fiorano gegenüber dem "normalen" Modell ist der Karbon-Heckspoiler. Der erzeugt nämlich bei 250 km/h satte 390 kg Anpressdruck.

Und davon kann man als Pilot jedes Gramm brauchen, wenn man den stärksten Serien-Ferrari aller Zeiten um die Rennstrecke scheucht.

Dabei geht die größte Faszination weniger von der schieren Leistung aus. Obwohl da im Modus namens "Qualify", den man wie gehabt bei Ferrari an dem kleinen Drehschalter am Lenkrad anwählen kann, 1.000 PS zur Verfügung stehen. Diese magische Ziffer wird erreicht, wenn die drei Elektromotoren so gesteuert sind, dass sie ihre volle Leistung von 162 kW (220 PS) zusätzlich zu den 780 PS des Verbrenners in den Dienst des ungestörten Vortriebs stellen und der V8 nicht nebenher die Batterie laden muss.

Atemberaubende Fahrwerkselektronik

Tatsächlich atemberaubend ist vielmehr, mit welcher Präzision und Flinkheit die Fahrwerkselektronik all diese Kraft in Vortrieb umzusetzen im Stande ist. Das Kriterium für den Piloten lautet hier, ausreichend Vertrauen in das System aufzubauen. Hat man das nach ein paar Runden geschafft und lässt eTC (Electric Traction Control), Electric Torque Vectoring & Co. ihre Arbeit tun, erreicht man Kurvengeschwindigkeiten, die man zuvor für unmöglich gehalten hätte. Soferne man als Pilot beim Anbremsen die Grenzen der Physik beachtet und die alte Rennfahrer-Regel anwendet (langsam in die Kurve, schnell hinaus), kann man kaum mehr fahrerische Fehler machen. Traut man sich erst einmal, ab dem Scheitelpunkt voll aufs Gas zu steigen, katapultiert sich die Fuhre ohne Zucker am Heck in solcher Vehemenz auf die folgende Gerade hinaus, wie man es selbst nicht zusammenbringt, wenn man nicht gerade Sainz oder Leclerc heißt.

Was sich tatsächlich abspielt in der High-Tecjh-Fahrwerkselektronik, zeigen erst nach der Rückkehr in die Box die Auswertungskurven der Telemetrie. Dort ist nicht nur zu sehen, an welchen Stellen und wie stark etwa die beiden Elektromotoren an den Vorderrädern ins Geschehen eingegriffen haben, um die Kurvenfahrt zu stabilisieren. Man erkennt auch, wieviel von der Antriebskraft, die vom Vollgas-Befehl des Piloten angefordert wurde, tatsächlich an die Räder weitergeleitet wurde und dass es in jedem Sekundenbruchteil gerade so viel war, wie die Reifen vertragen konnten, ohne zu viel Schlupf aufzbauen.

Keine Bevormundung

Unterm Strich bleibt dem Piloten nach mehreren heißen Runden mit dem Ferrari SF 90 Stradale Assetto Fiorano jedoch trotz der ganzen, aus den Erfahrungen des Formel-1-Rennstalls des Hauses abgeleiteten, Elektronik nie der Eindruck, von Algorithmen bevormundet zu werden. Im Gegenteil: Hier nimmt man die Hilfe der digitalen Schlaumeier spätestens dann gerne an, wenn man gemerkt hat, wie sich Rundenzeiten und Fahrverhalten zum Schlechteren verändern, sobald man auf sie verzichten zu können glaubt.

So viel zu den Erkenntnissen aus den praktischen Erfahrungen mit dem schnellsten und stärksten Serien-Ferrari aller Zeiten. Dass diese auf eine sehr überschaubare Zahl an Menschen beschränkt bleiben werden, dafür gibt es zwei entscheidende Gründe.

Der eine ist die Tatsache, dass zum Preis von 477.688 € für einen Ferrari SF 80 Stradale noch 49.200 € dazukommen, soll er mit der Option Assetto Fiorano ausgestattet sein. Wer die vom optischen Reiz her eher vernachlässigbare Renn-Lackierung dazubestellt, legt noch einmal 25.200 € drauf.

Und der andere Grund ist die Erfahrung, dass Ferraris dieses Kalibers zumeist in irgenwelchen Sammler-Garagen verschwinden, ohne je in Händen ihres Besitzers den Beweis der exorbitanten technischen Fähigkeiten antreten zu können.

Dass unter solchen Voraussetzungen niemand nach einem Ladekabel suchen wird, darf angenommen werden. Und dass der Strecker unter der linken Klappe ist, merkt man ohnehin, wenn beim ersten Nachtanken der Benzin-Zapfhahn dort nicht hineinpasst.

 

Antrieb: Plug-in-Hybrid, Allradantrieb, 8-Gang-Doppelkupplungsgetriebe.
Verbrennungsmotor: V8-Turbo, Hubraum 3990 cm3, 780 PS / 574 kW bei 7.500 U/min. Maximales Drehmoment 800 Nm bei 6.000 U/min. Spezifische Leistung 195 PS / l.
Hybridsystem: 3 Elektromotoren mit zusammen 162 kW / 220 PS, Batteriekapazität 7,9 kWh, Max. Reichweite rein elektrisch 25 km.

Fahrleistungen: Spitze 340 km/h, 0 - 100 km/h in 2,5 Sek., 0 - 200 km/h in 6,7 Sek, Bremsweg 100 - 0 km/h 29,5 Meter. Rundenzeit in Fiorano: 1' 19 ''.

Abmessungen: Länge x Breite x Höhe 4.710 x 1.972 x 1.186 mm, Radstand 2.650 mm, Trockengewicht 1.570 kg, Gewichtsverteilung vorne / hinten: 45 / 55 %. Kofferraumvolumen 74 l, Tankvolomen 68 l.

Kosten: Grundpreis 477.688 €, Option Assetto Fiorano 49.200 €, Renn-Lackierung 25.200 €

Kommentare

Kurier.tvMotor.atKurier.atFreizeit.atFilm.atImmmopartnersuchepartnersucheSpieleCreated by Icons Producer from the Noun Project profilkat