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Interview

Mobilitätsexperte Rammler: „Autos gibt es definitiv zu viele“

Warum die Zukunft der Städte autofrei ist und moderne Verkehrspolitik radikal sein muss

von Sandra Baierl

09/18/2020, 02:00 AM

Wie sieht ein modernes Mobilitätskonzept für eine Millionenstadt aus? Mobilitätsexperte Stephan Rammler, er leitet das Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung in Berlin, weiß: Eine Zukunft ganz ohne Autos wird es nicht so schnell geben, aber Autos in der Stadt – dieses Konzept ist schon jetzt überholt.

KURIER: In Wien diskutiert man über ein teilweises City-Fahrverbot. Ist das ein erster Wink aus der Zukunft?

Stephan Rammler: Das ist ein Wink aus der Gegenwart. Nach allem, was wir heute wissen, sollten wir äußerst dringend jede Form von fossiler Energie einschränken. Es ist also genau die richtige Stoßrichtung. Hier steht eine Transformation in der Mobilität an, die so groß ist, dass man radikale Änderungen vornehmen muss.

Beschlossen ist die autofreie City aber noch lange nicht ...

Wir haben in der Vergangenheit autogerechte Städte gebaut, wir haben Städte mit Autobahnen vernetzt. Das war eine sehr autofokussierte, fahrtabhängige Politik. So etwas ist nicht von heute auf morgen über Bord zu werfen.

Wie schätzen Sie den Verkehr in Wien generell ein?

Ich würde Wien in einer Reihe mit Stockholm, Kopenhagen und Amsterdam nennen, also im Ranking weit oben. Wien hat einen guten öffentlichen Verkehr, eine Regionalbahn, die ÖBB und eine smarte Parkraumbewirtschaftung. Es gibt Begegnungszonen und Wien ist zur Fahrradstadt geworden. Aber Autos gibt es definitiv zu viele.

Wie wird Wien aussehen, wenn es 2040 Null-Emissionen gibt? Haben Sie ein konkretes Bild vor Augen?

Dieses Bild ist kein Zauberwerk. Jedes Verkehrssystem einer Großstadt wird in Zukunft auf dem öffentlichen Verkehrssystem aufbauen müssen. Dazu gehört auch die Sharing Economy für die erste und letzte Meile. Autos werden nach und nach zurückgedrängt. Dafür kommt das Fahrrad: Es ist zum zentralen Verkehrsmittel des 21. Jahrhunderts geworden. Die Menschen setzen sich heute sogar unter lebensgefährlichen Bedingungen aufs Fahrrad, um etwas für die Umwelt zu tun. Das zeigt, dass sie sich anders verhalten wollen. Das muss die Politik nur nützen.

Rund 200.000 Autos pendeln täglich nach Wien ein. Ein Riesenproblem.

Wir wissen, dass fast alle europäischen Städte nicht mit hausgemachtem Verkehr kämpfen, sondern mit dem einpendelnden Verkehr. Zumeist sind die Einpendler da, wo sie leben, total abhängig vom Automobil. Das zeigt: Für gute Verkehrspolitik muss man das größere Umland miteinbeziehen. Damit sich Menschen am Land vom Auto befreien, brauchen sie gute Angebote.

Hier ist also eine staatliche Regulierung notwendig.

Es braucht einen Rahmen von der Politik. Im Moment ist es rational, ein Auto zu benutzen. Es braucht eine neue Rationalität, damit es sinnvoll ist, das Auto stehen zu lassen. Aber finden sie mal einen Politiker, der den Mut hat, die Dinge so zu ändern, wie es für die Umwelt und die Stadt am besten wäre. Und damit 200.000 Pendler verärgert.

In welche Richtung hat die Corona-Krise die Mobilität verändert?

Corona war ein Reallabor, in dem uns andere Verhaltensweisen aufgezwungen wurden. Von heute auf morgen wurden Dinge neu gemacht, mit einer anderen Legitimität, weil es ja höheres Schicksal war. Die unmittelbaren Effekte waren, dass die Leute das Auto vermehrt benutzt haben, der öffentliche Verkehr beeinträchtigt war und es das Fahrrad massiv nach vorne gebracht hat. Es hat uns auch gezeigt, dass Telependeln ein Zukunftskonzept ist – also weniger oft in die Arbeit fahren, weniger Reisen, mehr Homeoffice.

Ist das Auto generell überholt oder wäre alles gut, wenn wir einfach auf Elektroantrieb umsteigen?

Nein. Wäre es nicht. Würden alle umsteigen, wären die Städte trotzdem weiter dicht und der Autoverkehr vorhanden. Es geht ja nicht nur um Luftverschmutzung und Lärm, sondern auch um Fläche. Wir werden in Zukunft enorme raumpolitische Debatten erleben. Die Menschen ziehen ja nach wir vor in die Städte, es wird also noch dichter. Bislang war es so, dass das Auto einen Großteil der urbanen Fläche in Anspruch genommen hat – durch Straßen und Parkflächen. Das wird sich ändern müssen. Außerdem gibt es noch die ressourcenpolitische Perspektive: In einer Betrachtung von der Wiege zur Bahre, wenn man also wirklich alle Ressourcen einbezieht, ist das Elektroauto nicht viel besser als das Auto mit Verbrennungsmotor. Nur will das keiner hören. Einen Motor raus, einen andern Motor rein, das ist nicht die Lösung.

Sie sehen also schon das Ende des Autos?

Nein, das ist nicht alles gleich dahin. Die Babyboomer kommen jetzt erst ins Alter. Die sind voll auf das Automobil sozialisiert. Diese Gruppe hat ein Interesse an altersgerechter, individueller Mobilität und kann sich die teuren Fahrzeuge leisten – auch jene mit Elektromotor.

Und was wird langfristig aus dem Statussymbol Auto?

Das Auto war im 20. Jahrhundert tatsächlich ein wichtiges Instrument, um sich in der sozialen Schichtung einzuordnen. Die neuen Generationen sind anders: Sie werden in Städten groß, in denen man kein Auto mehr braucht. Und sie leben in einer völlig digitalisierten Welt. Da wird Besitz zum Hindernis.

Erst diese Woche hat EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ihre Vision für die kommenden Jahre vorgestellt. Und dabei ein ehrgeiziges Klimaziel genannt: die Treibhausgase der EU sollen bis 2030 um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 fallen. Diese Verschärfung soll helfen, das Pariser Klimaschutzabkommen einzuhalten. Demnach soll die EU bis 2050 klimaneutral sein. Österreich will noch schneller zur Netto-Null-Emission: bis 2040 soll der Treibhausgasausstoß komplett reduziert werden, verbleibende Emissionen gespeichert oder kompensiert werden.

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