Ab 20. November gilt auf weiten Teilen der Autobahnen in Tirol (A12 und A13) permanent Tempo 100. Der "Lufthunderter" wird ein Jahr lang getestet.
Ab 20. November gilt auf weiten Teilen der Autobahnen in Tirol (A12 und A13) permanent Tempo 100. Der "Lufthunderter" wird ein Jahr lang getestet.

© ZOOM-TIROL

Saubere Luft

Tempolimits als „gelindestes Mittel“

Initiative: Weniger Tempo, höhere Strafen, neue Testzyklen für Pkw sollen Umwelt entlasten und Sicherheit erhöhen.

von Maria Brandl

11/24/2014, 05:11 PM

Noch gibt’s kein Strafverfahren vonseiten der EU wegen Überschreitung der Grenzwerte (siehe Zusatzartikel). Und „die Belastung durch Luftschadstoffe aus dem Straßenverkehr wurde in Österreich und Europa in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert“, so das Umweltbundesamt auf der Wiener-Tagung „Weniger ist mehr“ der Plattform „Saubere Luft“, einer bundesweiten Vereinigung von Umweltexperten.

Feinstaub So wurde in der Region Graz bei den Hauptstaubquellen Hausbrand, Landwirtschaft, Verkehr durch Gegenmaßnahmen wie Ausbau der Fernwärme, Verbot von Laub-Gebläsen, Filteranlagen für neue Ställe, Verbot von Spaßrennen sowie Tempolimits auf Autobahnen („Lufthunderter“) die Luftgüte so stark verbessert, dass der zuständige Landesrat über eine Verkleinerung der Sanierungsgebiete nachdenkt.

Stickoxide Aber beim Reizgas Stickstoffdioxid (NO2) gibt’s weniger Fortschritte. Trotz sektoraler und zeitlicher Tempolimits auf Autobahnen in belasteten Zonen (Graz, Inntal, Salzburg) wurden 2013 die EU-Grenzwerte für NO2 laut Umweltbundesamt 15-mal überschritten (für Feinstaub dagegen nur mehr zwei Mal). Anders als beim Feinstaub gilt beim NO2 der Straßenverkehr als Hauptverursacher (genaue Zahl der Überschreitungen in www.umweltbundesamt.at/jahresberichte).

Als einfachste, billigste, wirkungsvollste und am schnellsten umsetzbare Gegenmaßnahmen nennen die Experten der Plattform „Saubere Luft“ Tempo 100 auf Autobahnen und Tempo 80 auf Bundesstraßen.

Als Beispiel führte Günther Lichtblau, Umweltbundesamt, Vergleichsmessungen von zwei Messstellen in Salzburg an, wo auf der Stadtautobahn drei Monate Tempo 100 und danach Tempo 80 galt. Das hätte die NO2-Konzentration in der Luft um 8 % gesenkt, was einer eineinhalbmonatigen Totalsperre der Autobahn entspräche. Zugleich hätte die Tempobeschränkung eine Angleichung des Pkw-Verkehrs an das Lkw-Tempo gebracht, was die Sicherheit erhöhe. Jedoch führte dies teilweise dazu, dass Lkw Pkw überholten. Lkw stellen ihre Tempobegrenzer EU-weit auf rund 90 km/h ein.

Lkw Moderne Lkw stehen nicht mehr am Pranger der Umweltschützer. Laut Martin Rexeis, TU Graz, sind Euro 6-Lkw „ein Quantensprung bei der Emissionsreduktion.“ Dieser Fortschritt gehe auf die Kombination von EU-Normtest und Abgasmessung im Realbetrieb zurück, den Lkw mit Euro 6 (Pflicht seit 2014) erfüllen müssen. Vorher, etwa bei Euro 5, hätte es vor allem im Stau und bei niedrigem Tempo erhöhten Schadstoffausstoß trotz SCR (Harnstoff-Entstickung) gegeben. Diese Schwäche sei nun mit Euro 6 bei Lkw behoben worden.

Prüfzyklen Ähnliche Erfolge erhoffen sich Experten auch bei Pkw durch einen zusätzlichen Realbetriebszyklus. Bis 2017 sollen Pkw nach dem Vorbild der Lkw die Grenzwerte sowohl auf dem Rollenprüfstand (Norm-Zyklus) wie im Realbetrieb (hier sind die Bedingungen noch nicht fixiert) erfüllen. Christiane Vitzthum vom deutschen Umweltbundesamt berichtete von Messungen, die deutliche Überschreitungen der Abgasnormen im Alltagsbetrieb ergaben. Allerdings wurden nicht nur europäische Modelle, sondern auch US-zertifizierte ältere Autos mit ihren Schadstoffen in die Bilanz miteingerechnet. Rexeis bestätigte die grundsätzliche Tendenz, dass Pkw heute mehr Schadstoffe ausstoßen als es die Abgasnormen zulassen, aber es gebe durchaus Pkw, „die im realen Betrieb die Norm-Grenzwerte einhalten.“

Neben strengeren Prüfbedingungen setzen die Wissenschafter vor allem auf Tempolimits, um die Schadstoffbelastung generell zu senken. Laut Reseis sinkt der Stickoxid-Ausstoß von Pkw durch den Sprung von Tempo 130 auf 100 auf Autobahnen um 25 %, auf Bundesstraßen von 100 auf 80 km/h um 15 %. Der Verbrauch und somit der CO-Ausstoß falle bei Tempo 100 statt 130 um ca. 16 %.

Stadt Innerorts sieht Rexeis jedoch durch Tempolimits „wenig Reduktionspotenzial“ für Luftschadstoffe. Werner Scholz, Landesamt für Umwelt in Baden-Württemberg, bestätigt dies. Messungen in Stuttgart ergaben, dass „eine Verstetigung des Verkehrs“ auf Tempo 50 auf ebenen Straßen die geringste Umweltbelastung bedeutet.
Tempo 30 dagegen bringt im Stadtgebiet klare Vorteile für die Verkehrssicherheit. Ralf Risser, Factum: „Eine Temporeduktion um 3 % senkt die Zahl der Verkehrstoten um 11,5 %“ laut einer skandinavischen Studie.

Für Lkw wird kein weiteres Tempolimit gefordert. Zwar gilt auf vielen Autobahnstrecken Tempo 60 in der Nacht. Jedoch würde sich fast niemand daran halten, was die Experten als positiv für die Verkehrssicherheit erachten. Grundsätzlich sei Tempo 80 für Lkw optimal. Geringeres Tempo würde den Schadstoffausstoß sowie den Verbrauch erhöhen.

Strafen Die Experten auf der Tagung forderten jedoch auch schärfere Überwachung und höhere Strafen. Auch wenn sie um die Emotionalität von „Tempo 100 auf Autobahnen“ wissen, ist sich Lichtblau sicher: „Das Thema lässt sich mittelfristig nicht aufhalten.“ Im Vergleich zu generellen Fahrverboten, teurem Road-Pricing und Ähnlichem sei der Lufthunderter das „gelindeste Mittel“, um für bessere Luft zu sorgen. Zudem werde damit auch der Lärm aus dem Straßenverkehr gesenkt. Lärm, so Jürgen Schneider, vom Umweltbundesamt, „wurde lange nur als lästig, aber nicht als gesundheitsgefährdend eingestuft.“ Inzwischen sei dies jedoch anders.

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„Das wird noch dauern …“

... über das Hauptmotiv, warum die Plattform „Saubere Luft“ gerade jetzt radikale Tempolimits einfordert: Wir können die Grenzwerte der IG-L nicht einhalten. Darum werden in den Bundesländern Gegenmaßnahmen sondiert.

... wie real ist die Androhung von EU-Strafverfahren samt hoher Strafzahlungen. Läuft bereits eines? Nein. Die Europäische Kommission hat Österreich eine Pilotanfrage gestellt, wann die Grenzwert eingehalten werden.

... mit welchen Strafen zu rechnen ist: Das lässt sich nicht sagen. Denn in vielen EU-Ländern lassen sich diese Grenzwerte nicht einhalten.

... wovon es abhängt, ob die EU die Einhaltung einfordert oder nicht: Es geht vor allem um die wirtschaftliche Verhältnismäßigkeit. In östlichen EU-Ländern wird das alte Energieversorgungssystem mitberücksichtigt.

... über die Zuverlässigkeit von Rußfiltern: Bis jetzt zeigen Tests eine sehr gute Dauerhaltbarkeit. Damit ausgestattete Pkw sind weitgehend partikelfrei.

... warum’s bei Stickoxiden keine ähnlichen Rückgänge gibt? Funktioniert der Harnstoff-Kat (SCR) im Pkw nicht oder sind die günstigeren Stickoxid-Speicherkats nicht gut genug? SCR ist unschlagbar bei der Stickoxidreduktion, auch im Pkw. Er hat zudem den Vorteil, dass der Motor besonders verbrauchsgünstig ausgelegt werden kann, somit -sparend. Stickoxid-Speicherkats sind deutlich kritischer. Da ist noch Entwicklungsarbeit nötig. Das wird noch zwei, drei Jahre dauern, bis die Systeme stabil sind.

... über den Stand bei Lkw: Euro6-Lkw sind sowohl bei Partikeln wie Stickoxiden sehr, sehr sauber. Schwere SUV erzeugen heute bei 140 km/h doppelt so viele Stickoxide wie ein Lkw.

… ob Tempo 100 auf Autobahnen gleichzeitig mit Tempo 80 auf Bundesstraßen eingeführt werden soll: Wegen der IG-L brauchen wir vorher Tempo 100 auf Autobahnen. Wenn es flächendeckend Tempo 100 auf Autobahnen und Tempo 80 auf Bundesstraßen geben soll, brauchen wir ein Gesamtpaket.

… wie Tempo 100 eingeführt werden soll, flächendeckend oder temporär? Bis wann? Die nächsten Jahre wird es eher temporäre Tempo 100-Limits geben. Aber langfristig ist es flächendeckend geplant. Ob dies nationalstaatlich geregelt wird oder über eine EU-Richtlinie, ist noch fraglich.

… was das Schwierigste an Tempo 100 ist: Wie man das Thema positiv besetzen kann.

Luftgüte Ist in Österreich im Immissionsschutzgesetz-Luft (IG-L) fixiert. Das regelt Immissionen (Schadstoffe in der Luft), während EU-Normen wie Euro6 die Emissionen begrenzen (Schadstoffe aus dem Auspuff). Die aktuellen Problemkinder sind Stickoxide, Feinstaub (PM10).

Feinstaub Luftschadstoff mit den größten gesundheitlichen Auswirkungen. Straßenverkehr ist neben Haus- brand, Industrie, Energieerzeugung, Industrie, Landwirtschaft eine wichtige Quelle. Eine große Rolle haben Topografie und Wetter. Ein Drittel der Partikelemissionen des Verkehrs stammen von Abrieb und Wiederaufwirbelung. Österreich hat sich zu strengeren Feinstaub-Limits als von der EU vorgegeben verpflichtet.

Stickoxide (NOx) Können als Reizgase vor allem Atemwegserkrankungen oder Allergien verstärken. Die IG-L regelt nicht NOx, sondern NO2, Stickstoffdioxid. Verkehr ist in Österreich die Hauptquelle für NO2.

Grenzwerte Neben dem IG-L gilt ein "Emissionshöchstmengengesetz", wo Österreich nur bei Stickoxiden die Limits überschreitet (Stand 2010).

Bremsen

Wenn Tirol heuer auf Autobahnen praktisch flächendeckend Tempo 100 einführt, so soll dies nicht Ausnahme, sondern möglichst bald Regel auf allen Autobahnen Österreichs werden, so Experten auf einer Tagung der Plattform „Saubere Luft“ vor Kurzem in Wien.
Die Vorteile von Tempo 100 liegen für sie auf der Hand: Weniger Schadstoffe, weniger Lärm, weniger Verbrauch, weniger Verkehrsopfer. Nicht zuletzt erhoffen sich damit finanzklamme Gemeinden und Regionen auch geringere Kosten für die Straßenerhaltung. „Österreich ist laut Währungsfonds das elftreichste Land der Welt“, so Verkehrsplaner Georg Hauger, aber die Schlaglöcher nehmen trotzdem zu. „Tempolimits sind billiger als bauliche Maßnahmen.“ Dass selbst in so reichen Staaten wie Österreich oder Deutschland das Geld für Infrastrukturerhaltung (nicht nur von Straßen) fehlt, hängt jedoch auch mit dem politisch geförderten „Falschparken“ (im Sinne von Steuergerechtigkeit) in Luxemberg Hunderter nicht abgeführter Milliarden von Großkonzernen zusammen.
Aber nicht nur der Staat profitiert von den geplanten Tempolimits, auch die Autofahrer. Die Regierung will ja zur Finanzierung der Steuerreform von ihnen mehr als zwei Milliarden Euro holen durch neue Besteuerung von Firmenautos, Diesel und Änderung der Pendlerpauschale (Michael Bachner, KURIER.at, 9.11.). Diese Einbußen können Autofahrer durch spritsparendes Tempo 100 zumindest teilweise kompensieren.
Und der Fahrspaß? Da fällt den Autoherstellern hoffentlich was ein. Immerhin hat VW das größte Forschungsbudget der Welt.

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