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Sicherheit

Gesucht: Neues Antischleudersystem

EU-Verkehrsminister fordern mehr Tempo bei der Einführung neuer Unfallschutz-Maßnahmen.

von Maria Brandl

02/18/2017, 07:00 AM

Die gute Nachricht: Seit 2009 sind Verkehrsunfälle nicht mehr die Haupt-Todesursache in der EU.

Doch das große Ziel, die Zahl der Verkehrstoten von rund 31.000 im Jahr 2010 auf 15.000 im Jahr 2020 quasi zu halbieren, dürfte die EU nicht erreichen, denn seit 2013 scheint die Zahl der Verkehrstoten zu stagnieren, in einigen EU-Ländern steigt sie sogar, z. B. in Deutschland.

Verkehrsminister von acht EU-Staaten, darunter Österreich, haben deshalb vor Kurzem die EU aufgefordert, mehr Tempo bei der Vorschreibung schärferer Verkehrssicherheitsmaßnahmen an den Tag zu legen.

In Österreich, lange Zeit als "Nachzügler" punkto Verkehrssicherheit gerügt, zeigt der Trend dagegen nach wie vor nach unten. 2016 war hier mit 427 Opfern die geringste Zahl an Verkehrstoten seit 1950, seit Beginn der Aufzeichnungen, zu verzeichnen. Das Ziel für 2020 liegt in Österreich bei maximal 311 Straßenverkehrstoten.

Die EU-weite Stagnation hingegen alarmiert die Sicherheitsexperten, umso mehr, als seit 1990 große Erfolge auf dem Gebiet höherer Verkehrssicherheit zu verbuchen waren (siehe Grafik): Die Zahl der Verkehrstoten sank von 76.650 auf 26.120 im Jahr 2015.

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Um der Verkehrssicherheit neuen Schwung zu geben, ließ die EU-Kommission deshalb Ideen sammeln. Aus 55 Vorschlägen wurden 19 ausgesucht, denen man die größten Chancen zur Verwirklichung, aber auch als Beitrag zur Verkehrssicherheit gibt. Einerseits durch ihr Kosten-Nutzen-Verhältnis, anderseits durch ihre Verfügbarkeit und relativ leichte Integration ins Fahrzeug.

Gleiche Sicherheit für Alle

Zudem will die EU künftig dafür sorgen, dass Sicherheitssysteme nicht nur in den reichen EU-Staaten den Kunden angeboten werden, sondern schrittweise auch den Autopassagieren in den ärmeren Ländern. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Autohersteller moderne Systeme zwar in die Modelle einbauen, um bei den NCAP-Crashtests gut abzuschneiden, dass diese Systeme in Folge aber nicht EU-weit angeboten werden, so die Experten in der EU-Kommission sowie im Europäischen Verkehrssicherheitsrat ETSC.

Grundsätzlich eignen sich die NCAP-Crashtest sehr gut, um neue Sicherheitssysteme in die Autos zu bringen. Für die Autohersteller ist die Höchstzahl an Punkten bei der Crashtestbewertung ein wichtiger Image-Beitrag.

Unfalldaten Angehen will die EU auch einen großen Schwachpunkt in eigener Sache: Nach wie vor gibt es keine standardisierte Unfallursachendatenanalyse in der EU. 2015 begannen einzelne Mitgliedstaaten, erstmals Daten zu schweren Verletzungen auf Basis der internationalen Verletzungsskala für Schwerverletzte zu erheben. Für wirklich exakte Bewertungen einzelner Sicherheitssysteme im Auto oder Risiken auf der Straße reicht dies jedoch noch nicht.

Menschliches Versagen

Derzeit gilt menschliches Versagen bei rund 95 % aller Verkehrsunfälle zumindest als Mitursache. Zum menschlichen Versagen zählen laut Unfallforschung überhöhte Geschwindigkeit, Ablenkung und Alkohol am Steuer.

Als besondere Risikogruppen unter den Verursachern gelten junge Fahrer zwischen 15 und 25 und Senioren. Kinder und Senioren sind bei den Verkehrsopfern, vor allem als Radfahrer und Fußgänger, überproportional betroffen. Ein wichtiges Ziel sind hier bessere Schutzsysteme in Bussen und Lkw, um etwa Zusammenstöße beim Abbiegen zu vermeiden. Gerade in städtischen Bereichen nimmt die Zahl an Nfz etwa durch den beliebten Online-Handel enorm zu. Gleichzeitig wird auch Gehen und Radfahren immer beliebter.

"Besonderes Augenmerk sollte auf den Auswirkungen durch die starke Zunahme von Geländewagen mit höherem Schwerpunkt, mehr Gewicht und aggressivem Frontdesign liegen", ebenso unfallbedingte Fahrzeugbrände, so EU-Sicherheitsexperten.

Geänderte Anforderungen und Risiken durch die steigende Zahl an E-Fahrzeugen werden in dem EU-Papier noch nicht erwähnt. Sehr wohl betrachtet werden die Infrastruktur (Ampeln, Verkehrszeichen) und die Straßenführung von den Sicherheitsexperten der EU für das geplante Gesamtsicherheitspaket.

Insgesamt halten die Sicherheitsexperten des ETSC eine neue EU-Sicherheitsoffensive für überfällig – die letzte Gesetzesanpassung habe 2009 stattgefunden.

EU-Maßnahmen für mehr Verkehrssicherheit

Die EU hat unter 55 Vorschlägen 19 Maßnahmen ausgewählt, die die Fahrzeugsicherheit verbessern sollen. Sie sind vier Schwerpunkten zuge- teilt. Wann die einzelnen Maßnahmen vorgeschrieben werden, ist noch offen. So manche ist bereits in Serie.

Aktive Sicherheit: Die folgenden Maßnahmen sollen Unfälle ganz verhindern oder die Folgen mindern: Automatische Notbremsassistenten, intelligente Abstandsregler, Spurhalteassistenten, Fahrzustands- und Ablenkungserkennung.

Passive Sicherheit: Hierzu zählen Systeme, die die Unfallfolgen reduzieren: Notbremsanzeige (blinkende Bremslichter), Gurtwarner, Front-, Heck- und Seitenaufpralltests, Standardisierung alkoholempfindlicher Wegfahrsperren, Unfalldatenspeicher, Reifendruckkontrolle.

Lkw und Busse: Geplante Verbesserungen bei Frontbereich und unmittelbarem Sichtbereich, Unterfahrschutz für Lkw und Anhänger (Heckstoßstange), Seitenschutz, Brandschutz für Busse.

Sicherheit von Fußgängern und Radfahrern: Fußgänger- und Radfahrererkennung (mit automatischen Notbremsassistenten), Kopfaufprallschutz an A-Säulen und vorderer Windschutzscheibe, Erkennung von hinter Fahrzeugen befindlichen Personen beim Retourfahren.

Schutzengel-Offensive

Anton van Zanten kann stolz zurückblicken: Allein in Europa hat das von ihm und seinem Team entwickelte ESP, elektronische Stabilitätssystem, bisher mehr als 8500 Menschen gerettet.

Nach dem Sicherheitsgurt gilt ESP, das 1995 bei Bosch und Mercedes im S600 Weltpremiere feierte, als wichtigste Sicherheitseinrichtung im Pkw. Zudem ist das Antischleudersystem die Grundlage für die meisten Fahrassistenten und somit auch fürs automatisierte Fahren. 2016 wurde Anton van Zanten mit dem Europäischen Erfinderpreis für sein Lebenswerk ausgezeichnet. ESP ist inzwischen in der EU Pflicht für neue Pkw.

Während die Einführung von Gurtenpflicht, ABS oder ESP spürbar die Unfallbilanz entlastete, sind zuletzt die großen Verbesserungen ausgeblieben. In einigen EU-Staaten nimmt die Zahl der Verkehrstoten sogar wieder zu, etwa in Deutschland. Obwohl gerade dort die Autos inzwischen eine ganze Armada an Schutzengeln eingebaut haben und viele Kunden in den zahlreichen Assistenten und Warnungen mehr eine Überreizung als einen Beitrag zur Sicherheit sehen.

Die große Gefahr lauert ohnehin nicht mehr im Auto, sondern auf der Straße. Kinder wie Erwachsene sind statistisch als Fußgänger und Radfahrer deutlich gefährdeter als Fahrzeugpassagiere. Hier ist der Handlungsbedarf für die EU am größten, will sie ihr Ziel, die Zahl der Verkehrstoten bis 2020 zu halbieren, erreichen.

Umso mehr, als es immer mehr Fußgänger und Radfahrer gibt.

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