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Messverfahren

EU-Normtests WLTP und RDE: Es wird kompliziert

Was künftig im Zulassungsschein steht und das für NoVA & Co. bedeutet

von Maria Brandl

02/08/2018, 12:40 PM

Die Unzufriedenheit mit dem EU-Normtest NEFZ für Abgase und Verbrauch bestand seit vielen Jahren. Vor allem, als die EU die Luftgütegrenzwerte einführte, zeigte sich, dass die Realität auf der Straße von den Ergebnissen des Rollenprüfstandstests oft weit abwich. Doch der Ruf nach einem realitätsnäheren Testverfahren wurde von EU-Gesetzgebern stets abgewimmelt mit dem Hinweis, dass ein neuer Test unter allen EU-Staaten abgestimmt und beschlossen werden müsse und das dauere Jahrzehnte. Nur die Grenzwerte (Euro 4, 5, 6) wurden verschärft.

-Einführung Doch mit der Diesel-Abgasaffäre kam Schwung in die Diskussion. Was seit Jahren in Gremien vor sich hin köchelte, wurde nun mit Hochdruck vorangetrieben. Seit September 2017 gibt es nicht nur einen neuen Rollenprüfstandstests namens WLTP (siehe Zusatzartikel), sondern auch eine Messung auf der Straße namens RDE. Dass bis zum Schluss um die Bestimmungen gerangelt wurde, zeigt sich auch daran, dass erst im Juli 2017 die WLTP-Vorgaben der EU veröffentlicht wurden und beim RDE noch bis Ende 2018 weiterverhandelt wird.

-Änderung für Kunden Auf dem Papier werden die Autos gemäß dem neuen Rollenprüfstandstest um rund 20 % mehr verbrauchen, was sich auch in höheren Steuern niederschlagen wird. Der höhere Verbrauch, so Mercedes, hängt vor allem von den neuen Rahmenbedingungen beim Rollenprüfstandstest ab. So werden z. B. Sonderausstattungen mitberücksichtigt, die Getriebeschaltpunkte sowie die Ermittlung der Fahrwiderstände geändert (siehe Zusatzartikel). Der Verbrauch der Autos im Verkehr dagegen wird auch künftig je nach Fahrstil, Wetter, Topografie stark variieren.

Wann sich die neuen Werte nach WLTP auf die Steuern auswirken, bestimmen die einzelnen Staaten. Österreich etwa will dies ab 1. 1. 2020 machen. Bis Ende 2020 müssen EU-weit neben den WLTP- auch die NEFZ-Werte offiziell angegeben werden. Dies auch deshalb, damit das von der EU vorgegebene Flottenverbrauchsziel neu zugelassener Fahrzeuge von 95 g/km erreicht werden kann. Dieses wurde ursprünglich nach dem NEFZ errechnet. Erst mit dem 1. 1. 2021 stellt die EU endgültig auf den WLTP um.

Punkto Wiederverkaufswert sollten Kunden genau auf die Emissionsnorm (siehe Tabelle) ihres Pkw achten, die derzeit beste ist die Euro 6d TEMP.

 

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-Straßentest Der neue, zusätzlich eingeführte Straßentest RDE dagegen wird nicht für die Verbrauchsermittlung hergenommen. Mit ihm wird überprüft, ob die jeweiligen Grenzwerte für Stickoxide (NOx) und die Partikelanzahl (PN) unter Berücksichtigung der gesetzlichen Konformitätsfaktoren auf der Straße eingehalten werden.

-Freiheiten Im Konformitätsfaktor sind die Messtoleranz der Prüfgeräte (Portable Emission Measuring System PEMS) sowie die Schwankungsbreite der Testbedingungen (Wetter, Stau etc.) berücksichtigt. Anfangs beträgt der Konformitätsfaktor für Stickoxide 2,1. Heißt, die Autos dürfen beim RDE-Test maximal 1,1 mal so viel NOx erzeugen, wie der EU-Grenzwert (Euro6) erlaubt. Das klingt großzügig, ist aber dennoch sehr wenig, wenn man derzeitige Straßentestergebnisse betrachtet, wo Autos teilweise die Grenzwerte ums bis zu 35-fache überschreiten. In der nächsten Stufe (ab 1. 9. 2018) wird dieser Konformitätsfaktor auf 1,5 gesenkt. Diese Freiheit ist schon wegen der Unschärfe der PEMS-Geräte nötig.

-Unschärfen Die PEMS sind nicht standardisiert, je nach Hersteller (z.B. AVL) variieren die Messarten. Das Messen der winzigen Schadstoffmengen im Abgas während der Fahrt ist extrem komplex.

Erst seit rund sechs Jahren sind laut Mercedes-Techniker die PEMS-Geräte überhaupt geeignet, um für offizielle Messungen eingesetzt zu werden. Im Grunde muss die gesamte Messtechnik, die beim Rollenprüfstand in 2 m hohen Schränken verbaut ist, in einem koffergroßen Gerät integriert werden. Die größten Ungenauigkeiten gebe es bei der Messung der Partikelanzahl, so Mercedes. Keinesfalls seriös sei es, auf ein Auto ein PEMS-Gerät zu schnallen, eine Runde auf der Straße zu fahren und dann das Ergebnis für „offiziell“ zu halten. Mercedes vergleicht jedes Ergebnis des PEMS-Gerätes bei der festgelegten RDE-Fahrt (siehe Zusatzartikel) mit den Ergebnissen der Messung auf dem Rollenprüfstand, um Unschärfen des PEMS-Gerätes abzugleichen.

-Prüfstellen Um die neuen Tests fristgerecht zu erledigen, wird es bei den Prüfstellen (z.B. TÜV) und Herstellern heuer zu enormem Zeitdruck kommen. Die externen Prüfstellen sollen darüber hinaus via Stichproben kontrollieren, ob die Autos den Gesetzesvorgaben entsprechen. Dazu sind unangemeldete Feldtests von unabhängigen Prüfstellen geplant, die Pkw aus dem Verkehr fischen und auf die Einhaltung der gesetzlichen Abgasvorgaben überprüfen. In Österreich aktuell von der TU Wien im Auftrag des Verkehrsministeriums.

Wichtige Begriffe

WLTP Worldwide Harmonized Light Vehicle Test Procedure: Rollenprüfstandstest (nötig, damit der Test reproduzierbar und vergleichbar ist), ersetzt den NEFZ (bisherigen Norm- test), wird seit 1.9.2017 schrittweise eingeführt. Mit dem WLTP werden Verbrauchs- und Abgaswerte ermittelt. Der entsprechende Testzyklus WLTC ist rund doppelt so lange wie der NEFZ (23 km, 1800 sec), dyna- mischer (Höchsttempo 131 km/h, NEFZ: 120 km/h), hat weniger Stopps und höhere Beschleunigungen. Anders als beim NEFZ ist die Prüfteperatur mit 23° C festgelegt (NEFZ: 20 bis 30° C). Zusätzlich erfolgt die Prüfung bei 14° C, der europäischen Durchschnittstemperatur. Gilt in der EU, UK, Norwegen, Island, Schweiz, Liechtenstein, Türkei und Israel, teilweise in Japan und Südkorea.

RDE Real Driving Emissions: Bei die- sem Straßentest wird überprüft, ob die Autos die Schadstoffgrenzwerte (Stickoxide, Partikelanzahl) im Real- betrieb einhalten. Zu Beginn sind Abweichungen (gemäß einem festgelegten „Konfomitätsfaktor“) erlaubt. Er ist seit September 2017 offiziell. Die Autohersteller können RDE-Tests selbst durchführen, 50 %  müssen aber laut EU durch externe Firmen er- folgen. Die RDE-Fahrt ist genau definiert, z.B. 90 bis 120 min und 16 km lang (für Hybridautos mind. 12 km mit Verbrennungsmotor in der Stadt) und erfolgt zu je einem Drittel in der Stadt, Überland, auf der Autobahn.

Veröffentlichung der WLTP-Daten in Prospekten: Wird länderweise erfolgen, in Deutschland ab 1. 9. ’18, das zuständige Ministerium (BMNT) bei uns überlegt noch. Mercedes rechnet nicht vor 2019 damit. Pflicht sind WLTP-Verbrauchsangaben ab 2021.

NoVA: Für die Berechnung der NoVA soll bis 1. 1. 2020 der Verbrauch laut NEFZ gelten, wobei auch dieser, so Mercedes, leicht höher (um wenige Prozent) sein wird, da er vom WLTP auf den NEFZ umgerechnet wird.

Abgasstufe: Statt Euro6 wird mit den neuen Normen „Euro 6d TEMP“ stehen. Damit müssen laut EU-Vor- gabe Autos bei einer RDE-Fahrt die Euro6-Grenzwerte für NOx  sowie für die Partikelanzahl einhalten. Euro 6d TEMP gilt für neue Emissionstypen (z.B. neue Motoren) seit dem 1. 9. 2017, für Neuzulassungen ab dem 1. 9. 2019. 2020 folgt die nächste Emissionsnorm Euro 6d.

Kommentar

In Europa wurde das Auto erfunden. Und Europas Autoindustrie sieht sich auch heute noch gern als weltweiter Pionier. Mit Abstrichen. Etwa bei der Abgasreduktion, da war Kalifornien eindeutig schneller. Die Smogprobleme zwangen dazu.

Europa, als Erdölimporteur besonders von der Ölkrise in den 1970er-Jahren betroffen, erfand ein neues Leitmotiv: Weltmeister im Spritsparen. Der Durchbruch des Diesel dank des TDI Ende der 1980er-Jahre, das Überangebot an billigem Heizöl, das sich sehr gut als Diesel für Pkw abbauen ließ, und die Freude der Kunden an diesem sparsamen, aber kraftvollen Motor eröffneten tolle Perspektiven und Europas Autohersteller trieben damit ihre Konkurrenz vor sich her. Im Überschwang wollte man die Welt auch mit einem neuen Normtest beglücken, der „Worldwide Harmonized Light Vehicles Test Procedure“, kurz WLTP genannt. Abgasgesetze und -tests sind ja immer auch ein Wettbewerbsschutz für die eigene Industrie.

Und dann kam 2015. Das Platzen des Diesel-Skandals. Europas Glaubwürdigkeit in Sachen „Saubermann“ wurde erschüttert. Die anderen großen Autonationen wie die USA, China und Japan machten endgültig klar, den von Europa initiierten WLTP nicht übernehmen zu wollen. Auch sie schützen ihre  Industrie. Kein Wunder, dass Europas Gesetzgeber und Autohersteller nun zumindest das für 2020 ausgerufene Verbrauchsziel von 95 g/km  erreichen wollen. Dafür müssen bis dahin die Autos sogar nach drei Abgastests  gewertet werden. Der Pionier steht unter großem Zugzwang.

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