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Interview

Experte über die künftige Autowelt: „Der Aufwand ist enorm“

Nikolaus S. Lang, Boston Consulting Group, über die künftige Autowelt

von Maria Brandl

01/18/2018, 12:13 PM

Nikolaus S. Lang, gebürtiger Österreicher und seit 1998 bei der Boston Consulting Group, beschäftigt sich seit Jahren mit den Folgen des autonomen und vernetzten Autofahrens. Er kennt dank eines zehnjährigen Aufenthalts auch Asiens Mega städte sehr gut, die wegen ihrer Luftprobleme zum weltweiten Motor der Elektrifizierung der Antriebe wurden (siehe „Zur Person“).

Nikolaus S. Lang ...

... über die Rolle Europas bei den drei Kernthemen der künftigen Mobilität – Elektrifizierung, Automatisierung des Fahrens und geteilte Mobilität:

Europa hat zwei Autocluster: Den deutschsprachigen, wo auch Österreichs Zulieferer dazugehören, und den französischen. Sie treiben die Innovation voran. Bis vor fünf Jahren konzentrierte sich der deutschsprachige Cluster mehrheitlich auf die Verbrennungsmotorentechnologie. In Frankreich förderte Renault E-Mobilität zwar schon sehr früh, aber nicht ausschließlich. PSA setzte sehr stark auf kleine Verbrennungsmotoren. Das heißt, in Europa gab es keinen Autohersteller, der elek trische Antriebe massiv forciert hätte. Damit blieben auch die lokalen Zulieferer diesbezüglich eher zurückhaltend.

... ob deshalb Europa etwa bei Batteriezellen, die das Herz des E-Autos darstellen und für Reichweite, Lebensdauer und Kosten dieser Autos maßgeblich sind, praktisch zu 100 % vom Import abhängig ist? Oder fehlt in Europa auch entsprechendes Risikokapital?

In Europa war wegen des Erfolgs mit Verbrennungsmotoren der Druck nicht da, in eine wettbewerbsfähige Batteriezellenproduktion zu investieren, es gibt hier auch weniger Risikokapital als in den USA oder in Asien. Vor allem Japan und Korea bauten dagegen schon vor Jahren eigene Produktionen von Lithium-Ionen-Zellen und -Batterien auf. Diese haben inzwischen große Volumina erreicht, die einen starken Kostenvorteil bringen. Das kann Europa kaum mehr aufholen. Auch wenn Tesla mit seiner Gigafabrik zeigt, dass es anderenorts gelingen kann, aber der finanzielle Aufwand ist enorm.

... darüber, wie die großen Zulieferer in Europa, z.B. Bosch und Conti, auf die neuen Trends reagieren, um Umsätze und Arbeitsplätze zu retten:

Sie setzen vor allem auf die Automatisierung des Fahrens, Fahrassistenzsysteme, Sensoren, Datenfusion. Ging es früher vor allem darum, mit neuen Systemen und Komponenten zu punkten, verschiebt sich nun vieles in Richtung Daten-Analyse und -Vernetzung. Beim Umsatz muss dies zu keinen Einbrüchen führen: Mit Sensoren und Datenfusion fürs automatisiertes Fahren lässt sich etwa ähnlich viel für Zulieferer verdienen wie heute für Getriebe- und Motorkomponenten.

... über neue Chancen durch Elektrifizierung, Automatisierung und Vernetzung:

Im Hinblick auf autonomes Fahren haben auch kleine Firmen, z.B. innovative Start-ups, Chancen, sich zu etablieren. Das zeigt etwa das US-Start-up Nutonomy, das als eine der ersten Firmen in Singapur mit Robotaxis startete und inzwischen vom großen Zulieferer Delphi um fast eine halbe Milliarde Dollar gekauft wurde.

... über die neue Rolle der Städte:

Städte müssen sich überlegen, wie sie ihren Verkehr langfristig gestalten wollen. Wien müsste etwa die vielen Stellen, die heute mit Verkehrsplanung beschäftigt sind, bündeln und öffentlichen sowie Individual-Verkehr gemeinsam langfristig planen. Eines zeichnet sich nach unseren Besuchen in mehr als 120 Städten weltweit ab: Um zu vermeiden, dass durch einen Umstieg von öffentlichen Verkehrsmitteln etwa auf bequemere Robotaxis oder autonom fahrende Privatautos ein Verkehrskollaps in Innenstädten entsteht, müssen Vorkehrungen getroffen werden. Das muss jede Stadt für sich entscheiden. Als Erstes müssen die Städte aber die rechtlichen und versicherungsmäßigen Rahmenbedingungen so gestalten, dass Tests mit autonom fahrenden Taxis und Kleinbussen überhaupt möglich sind.

... darüber, wie viele Privat-Pkw durch permanent fahrende Robotaxis und Robobusse eingespart werden können:

Unsere Berechnung für die US-Stadt Boston mit rund 700.000 Einwohnern und 700.000 Einpendlern zeigt, dass die individuelle Mobilität von heute durch 17.000 autonome Robotaxis und 400.000 Privat-Fahrzeuge abgedeckt werden kann. Heute gibt es in Boston rund 600.000 Privat-Fahrzeuge.

... darüber, was das für den Vertrieb heißt:

Das autonome Fahren wird für das Händlernetz frühestens 2035 ein Thema. Laut Berechnungen werden die Pkw-Verkäufe um 20 bis 30 % zurückgehen. Viel stärker wird sich die Elektrifizierung auf die Händler auswirken: E-Autos haben viel weniger Wartungsaufwand und Verschleißteile, für die Wartung sind neue Fachleute nötig wie etwa Hochvolt-Techniker.

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Zur Person

Nikolaus S. Lang, 46, gebürtiger Bad Ausseer, ist Senior-partner im Münchner Büro der Boston Consulting Group (BCG). Seine Kernthemen sind Autos und Industriegüter, spezialisiert hat er sich auf Vernetzung und autonomes Fahren. Er lebte zehn Jahre in Asien. Sein Doktorstudium (PhD) in St. Gallen, Schweiz, schloss er summa cum laude ab. Zur BCG stieß er 1998.

Die Boston Consulting Group (BCG) ist eine internationaleManagementberatungsfirma und weltweit führend bei der Unternehmensstrategie. BCG hatte 2016 weltweit 14.000 Mitarbeiter und erwirtschaftete 5,6 Mrd. $.

Wohin steuert die Autoindustrie, wer hat die besten Karten?

Die internationale Unternehmensberatungsfirma Boston Consulting Group widmet sich regelmäßig dem Thema Mobilität der Zukunft und seinen Auswirkungen auf die betroffenen Unternehmen und Kunden.

Die neue Studie blickt bis 2035 voraus, wo die allgemein anerkannten drei großen Trends der künftigen Mobilität – Elektrifizierung, autonomes Fahren und neue Mobilitätsdienste wie Autoteilen – die klassische Autobranche bereits stark verändert haben werden. BCG hat die Auswirkungen für drei Szenarios berechnet: ein konservatives, das wahrscheinlichste und ein aggressives. So wird etwa bei den Batteriekosten unter konservativen Vorzeichen ein Kostenrückgang von 2 % pro Jahr, unter aggressiven Vorzeichen von 10 % pro Jahr und als wahrscheinlichste Variante von 5 % pro Jahr angenommen, was einer Halbierung der Batteriekosten bis 2030 gegenüber 2017 entspricht.

Für die Autohersteller werden laut BCG-Studie die neuen Trends vor allem eine enorme Einnahmenveränderung bedeuten. Werden heute 99 % der Gewinne mit klassischen Antrieben, Finanz- und Servicedienstleistungen gemacht, so werden es 2035 nur mehr 60 % sein. Die gute Nachricht: Bis 2035 werde die Autoindustrie weiter gut verdienen, die Umsätze von weltweit 3,7 Billionen $ 2017 auf 5,8 Billionen $ 2035 steigen, die Gewinne von 226 Mrd. $ auf 380 Mrd. $ im gleichen Zeitraum. Allerdings werden an diesem Kuchen auch neue Mitbewerber mitnaschen. Wie stark, hänge davon ab, wie gut sich die klassischen Autohersteller und -Zulieferer auf die neuen Trends einstellen. Was enorme Investitionen bedeute. BCG spricht von mehr als 900 Mrd. $ an nötigen Investitionen bis 2030 und mehr als 2,4 Billionen $ bis 2035.

Die besten Chancen hätten jene Unternehmen, die Technologien für automatisiertes Fahren anbieten können samt Software und Elektronikkomponenten, zudem Batteriezellenhersteller und Mobilitätsdienstleister.


Kommentar

Am Stammtisch ist die Automobilität der Zukunft angekommen. Dass ein Teil der Verkehrsleistung in fünf Jahren durch autonom fahrende E-Vehikel erledigt wird, halten offenbar viele für wahrscheinlicher als Tempo 140 auf der Autobahn.

Eine neue Studie der Unternehmensberatungsfirma Boston Consulting Group zeigt, dass der Stammtisch näher am Puls der Zeit ist als viele Politiker, auch in Brüssel. Laut dieser Studie werden ab 2022 E-Autos bei einer zehnjährigen Behaltedauer den Käufer billiger kommen als Autos mit Verbrennungsmotoren. 2030 sollen 10 % der weltweit zurückgelegten Personenkilometer auf "geteilte" Autos, vor allem autonom fahrende E-Vehikel, entfallen.

Doch was bedeutet das für die Arbeitsplätze, fragte ein junger Mann bei der KURIER-Diskussion "Mobilität der Zukunft". Nichts Gutes, ahnen wohl viele, wenn es der EU nicht bald gelingt, Kerntechnologien für die künftige Automobilität hier herzustellen – etwa Lithium-Ionen-Zellen, wo Europa derzeit praktisch zu 100 % vom Import abhängig ist. Zumindest gibt es derzeit einen Versuch, eine eigene Zellenfertigung in der EU zu schaffen, die ersten Ergebnisse zeigen, wie groß der Aufholbedarf ist. Einige Experten meinen ohnehin, dass Europas Autokonzerne und -Zulieferer das Thema Elektrifizierung inzwischen "depriorisiert" haben und mehr Chancen in der Automatisierung sehen.

Ob das als Absicherung des Wirtschaftsstandorts reicht, wird sich bald zeigen.

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