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Bauers Fahrtenbuch

Das Auto als Nervensäge: Wie sich die EU-Tempolimit-Verordnung auswirkt

Willkommene Verbesserung der Sicherheit oder übergriffige Bevormundung? Das Leben mit der automatischen Tempolimit-Erkennung

von Horst Bauer

10/17/2023, 03:00 AM

Ab Juli nächsten Jahres ist es Vorschrift. Gepiepst wird vielfach aber schon jetzt. Denn zumindest jene Modelle, die entweder gerade neu auf den Markt kommen oder die jährliche Modellpflege hinter sich haben, sind schon mit der neuen Assistenz-Technik ausgerüstet.

Und melden sich bei jeder noch so geringen Überschreitung eines vom Kamera- und/oder Navi-System erkannten Tempolimits verpflichtend zu Wort. Manche davon sogar buchstäblich.

Vor allem die auf den europäischen Markt drängenden chinesischen Hersteller lassen ihre Bordsysteme gerne sprechen. Erklingen anderswo Pieps- oder Klingeltöne, um darauf aufmerksam zu machen, dass der oder die Lenkende mit 51 statt 50 km/h in die Tempolimit-Zone eingefahren ist, meldet sich bei den Chinesen die Stimme aus dem Off. Freundlich, aber bestimmt wird dann verkündet. „Sie fahren zu schnell!“

Was sich in der Theorie der Verkehrssicherheits-Bürokraten in Brüssel als endlich technisch machbare Unterstützung zur Verbesserung der Tempo-Moral auf europäischen Straßen anhört, kann in der gelebten Praxis jedoch schnell nerven. Dies nicht zuletzt, weil die kamerabasierte Verkehrszeichen-Erkennung nach wie vor recht fehleranfällig ist. Was auch an dem Wildwuchs lokaler Verkehrszeichen-Folklore in den unterschiedlichen EU-Mitgliedsstaaten liegt.  Bestimmte Kombinationen von Gebotstafeln stellen die Erkennungs-Technik vor kaum lösbare Probleme, wie Ingenieure verschiedenster Autohersteller im privaten Gespräch mit sorgenumwölkter Stirn gestehen.

So wird selbst die von der EU zugestandene zehnprozentige Fehlerquote für die Systeme eine große Herausforderung, wenn sie ab Juli kommenden Jahres verpflichtend in jedem neu zugelassenen Auto in Europa eingebaut sein müssen.

Immerhin besagt die neue Verordnung, dass die Lenker eines mit solchen elektronischen Assistenzsystemen (auch der Spurverlassenswarner gehört hier unter anderem dazu) ausgerüsteten Autos die Möglichkeit haben müssen, diese abzuschalten. Aber eben nicht mehr – wie bis jetzt meistens möglich – per Knopfdruck ein für alle Mal.

Um die piepsenden Nervtöter verstummen zu lassen, müssen nun laut Vorgabe zumindest zwei Schritte erfolgen. Und das nach jedem Neustart des Autos wieder.

Ob diese neue gesetzliche Regelung als willkommene Verbesserung der Sicherheit oder übergriffige Bevormundung durch die Fahrzeugelektronik im Auftrag des Staates empfunden wird, muss wohl jeder mit sich selbst ausmachen.

Für die erwartbar größere Fraktion der Kundschaft, denen das Überhand nehmende Warngepiepse im Auto auf die Nerven geht, werden kreative, die rechtlichen Vorgaben einhaltende Ruhigstellungs-Lösungen damit zunehmend wichtiger werden. Wobei nach ersten persönlichen Erkenntnissen mit einem Teil der heuer neu auf den Markt kommenden Modelle im Zuge des Tannistest der Auto-des-Jahres-Jury die Bruchlinie entlang der Kulturgrenzen verläuft.

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Chinesische Hersteller bringen die auf ihrem Heimmarkt normalen, für von Selbstbestimmung geprägte Europäer aber vielfach als Belästigung empfundenen Warnungen gerne über gesprochene Sätze an.

In Autos japanischer Marken wird nicht nur geklingelt und gepiepst, was die Lautsprecher hergeben. Auch die Abschalt-Möglichkeiten werden möglichst verkompliziert. Was bis zu jedes Mal neu zu setzenden sieben Schritten via Bordcomputer-Untermenüs gehen kann.

Bei den Europäern wiederum versucht man der Kundschaft möglichst einfache Möglichkeiten in die Hand zu geben, um sich auf Wunsch der Bevormundung zu erwehren. Wie etwa mit einem dauerhaft selbst programmierbaren Knopf auf dem Lenkrad, der durch zweimaliges Drücken (Vorschrift!) alle einmal dort zusammengefassten ungeliebten elektronischen Besserwisser aus dem immer größer werdenden Assistenz-Menü deaktiviert.

Wer sich das alles ersparen will, hat jedenfalls nicht mehr lange Zeit, sich einen Neuwagen zu kaufen, dem die verpflichtende fürsorgliche Umarmung durch die Fahrzeugelektronik noch nicht eingepflanzt wurde.

Schließlich kann der kürzlich in einem Prospekt einer hierzulande vertriebenen chinesischen Marke entdeckte Satz („Ihr Auto passt auf Sie auf“) auch als gefährliche Drohung verstanden werden.

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