1. ESP in Serie im Mercedes S 600 Coupé
1. ESP in Serie im Mercedes S 600 Coupé

© /Werk/Daimler AG

Fahrassistenz

Fahrerassistenz-Systeme: Elektronische Assistenz beruhigt

Spurhaltewarner & Co. werden oft als lästig empfunden, aber sie erhöhen das Sicherheitsgefühl.

von Maria Brandl

11/16/2015, 08:34 AM

Sicherheit ist inzwischen für Autofahrer untrennbar mit Assistenzsystemen verbunden. So ergab laut Automobiltechnischer Zeitung ATZ eine im Auftrag des deutschen Automobilclubs ADAC durchgeführte Studie, dass quer über alle Marken Lenker ohne Sicherheitssysteme die Sicherheit in ihrem Auto insgesamt zu 64 % mit sehr gut oder gut benoten. Bei Fahrern von Autos mit zwei oder mehr Sicherheitssystemen sind es 85 %.

Grundsätzlich steht Sicherheit bei Autofahrern hoch im Kurs. Laut einer im Auftrag von "Auto Scout 24" von GfK durchgeführten Studie stimmen in Österreich 82 % uneingeschränkt der Aussage zu, dass ein Auto in 25 Jahren vor allem den Insassen ein Maximum an Sicherheit bieten sollte.

Assistenzsysteme sind aber auch für die Industrie sehr attraktiv: Stellen sie doch neben dem Hybrid- und Elektroantrieb das größte Geschäftspotenzial für die nächsten Jahre dar. Allein Bosch erwartet 2016 eine Milliarde € Umsatz mit Fahrassistenzsystemen.

Die Anfänge

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Der Urvater der elektronisch geregelten Assistenzsysteme ist das Antiblockiersystem ABS, das 1978 bei Bosch in Serie ging und bei Mercedes startete. An der Serienreife hatten Bosch- und Mercedes-Entwickler damals neun Jahre gearbeitet. ABS verhindert ein Blockieren von Rädern bei einer Notbremsung, indem der Bremsdruck bei blockierenden Rädern bis zu 40 Mal pro Sekunde gesenkt und wieder angehoben wird. Zu hören war dies lange Zeit durch ein Rattern an den Rädern. Durch diese elektronische Bremsregelung bleibt das Auto lenkbar und der Bremsweg auch auf rutschigem Untergrund kurz. Allein Bosch hat seit 1978 mehr als 190 Mio. ABS hergestellt.

Den nächsten großen Sprung in der Unfallvermeidung, sprich, aktiven Sicherheit, brachte das ESP, das Elektronische Stabilitäts-Programm, häufig auch ESC (Electronic Stability Control) oder Antischleudersystem genannt. Auch hier waren Bosch und Mercedes 1995 die Pioniere. ESP baut auf ABS auf und kontrolliert mit zusätzlichen Sensoren (z. B. Gierratensensor) 25-mal pro Sekunde, ob das Auto zu schleudern droht oder außer Kontrolle gerät. In diesem Fall greift ESP blitzschnell ein und stellt, innerhalb der physikalischen Grenzen, die Stabilität wieder her, indem das Motormoment reduziert und einzelne Räder gezielt abgebremst werden. ESP kann laut Unfalluntersuchungen bis zu 80 % der Schleuderunfälle verhindern.

In der EU ist ESP seit November 2014 in allen neuen Pkw Pflicht. In den USA, in Australien und Israel müssen auch Fahrzeuge bis 4,5 t Gesamtgewicht damit ausgestattet werden. In Japan, Korea, Russland und der Türkei treten ähnliche Vorgaben in den nächsten Jahren in Kraft. Weltweit fahren bereits 55 % aller Pkw und leichten Nutzfahrzeuge mit ESP. Bosch fertigt inzwischen nach eigenen Aussagen mehr ESP- als ABS-Systeme, insgesamt seit 1995 an die 150 Mio. Stück.

An ESP lässt sich auch der große Fortschritt punkto Miniaturisierung ablesen. Brachte die erste Version von Bosch 1995 4,3 kg auf die Waage, so wiegt die aktuelle, die neunte Generation, nur noch 1,6 kg. Mit den aktuellen ESP-Generationen wird übrigens nicht nur der Pkw stabil gehalten, wenn er auszubrechen droht, sondern auch Fahrzeuggespanne. ESP der jüngeren Generation liefert zudem die Möglichkeit eines "Passiven Torque Vectoring", das deutlich kostengünstiger ist als die aktive Version über ein zusätzliches Getriebe. Beim Passiven Torque Vectoring wird etwa die Kurvenstabilität erhöht, indem Räder je nach Bedarf einzeln abgebremst werden. Beim Aktiven Torque Vectoring wird über das Getriebe aktiv bedarfsgeregelt Motormoment an den einzelnen Rädern aufgebaut.

Assistenzfamilie

Auf ABS und ESP bauen praktisch alle weiteren Fahrassistenten auf, die inzwischen von der Luxusklasse kommend selbst in Kompaktautos zu finden sind. Dazu zählen

NotbremssystemeSpurhaltesystemeAutomatische Abstandshalter (Intelligenter Tempomat)ParkassistentenStauassistenten.Sie alle ebnen den Weg zum immer stärker automatisierten bis autonomen Fahren.

Spiele könnten der Eisbrecher sein

Als der futuristische F 015 heuer autonom ohne Lenker durch die Altstadt von Linz fuhr, sorgte er für Begeisterung, Staunen und Schrecken gleichermaßen unter den vielen Schaulustigen. "Die einen können sich gut vorstellen, künftig so zu fahren, den anderen macht das Angst", so Erich Schöls, Leiter und Gründer des Steinbeis Forschungszentrums Design und Systeme in Würzburg. Schöls, ein Auslandsösterreicher, war einer der Experten auf dem "Future Talk III", zu dem Daimler nach Berlin geladen hatte.

Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand die Verknüpfung der realen Welt mit der Virtualität und den daraus entstehenden Möglichkeiten für künftige Autos. "Virtualität macht die Digitalisierung im Fahrzeug unmittelbar erlebbar. Sie ist eine Schlüsseltechnologie für die Mobilität im 21. Jahrhundert", so Anke Kleinschmit, Leiterin der Daimler Konzernforschung. Wie die Smartphones zeigten, "hat der Mensch eine natürliche Veranlagung zur Virtualität."

Was früher schon analog mit Kindern funktionierte, etwa die Fahrt durch Spiele wie "Ich sehe was, was du nicht siehst" zu verkürzen, könnte nun virtuell umgesetzt werden. "Das Auto der Zukunft wird zu einem Erlebnisraum, der die Reisenden mit ihrer Umgebung verbinden kann. Die Umgebung kann dem Reisenden Geschichten erzählen oder als Spielfläche dienen", so Kleinschmit.

Die Technik dafür stehe bereit. Kostete noch vor fünf Jahren eine Brille für Virtual Reality 100.000 €, so ist sie laut Schöls heute für 300 € zu haben. Es sei zudem "sehr wahrscheinlich, dass künftig dank Datenlinsen auf klobige Brillen verzichtet werden kann", so Schöls. Google biete schon heute solche Linsen zum Auslesen des Blutzuckerspiegels an.

Selbstversuch

In einer dreidimensionalen Simulation war diese Zukunft in Berlin zu erleben. Mit entsprechenden (noch klobigen) Brillen ausgestattet, konnten die Journalisten per Fingerdruck bzw. Fingerzeig die Umgebung ihrer Tagesfahrt in Nachtlicht tauchen oder umgekehrt, mit Passagieren in anderen Fahrzeugen Kontakt aufnehmen, sich über die Museen entlang der Straßen informieren, virtuell Hotels besuchen oder schlicht Lärmschutzwände oder Werbetafeln "wegzaubern". Oder während der Fahrt den Zielort besichtigen. "Ich bin schon dort, bevor ich ankomme", so Schöls. Künftig wird es auch möglich sein, sich etwa bei einer Fahrt durch Wien virtuell das Leben der Wiener im 16. Jahrhundert im Auto darstellen zu lassen, ähnlich wie heute in Spielen. Reiseveranstalter wie TUI würden die Technik heute schon nützen, um z.B. Passagiere virtuell durch Schiffskabinen zu führen.

Die virtuelle Darstellung hat inzwischen eine Qualität erreicht, die weit über frühere Fahrsimulatoren hinausgeht und der realen Welt immer näher kommt. Erleichtert wird das Verschmelzen der virtuellen und der realen Welt durch das Verhalten des menschlichen Gehirns, so der Neurowissenschaftler Cade McCall. "Für unser Gehirn spielt es erst einmal keine Rolle, ob es tatsächliche oder virtuelle Informationen verarbeitet. Wenn die entsprechenden Bedingungen erfüllt sind, nehmen wir virtuelle Welten leicht als Realität wahr und gehen darauf ein."

Mehr Sicherheit

Auf die Frage des Motor- KURIER, ob die ersten virtuellen Anwendungen eher im Bereich von Spielen oder von Sicherheit zu finden sein werden, meinte Kleinschmit: "Wenn es technisch möglich ist, sollten als Erstes Informationen kommen, die die Sicherheit erhöhen." Das könnten Hinweise über für den Lenker nicht sichtbare Gefahren sein, die künftig groß virtuell über die ganze Frontscheibe eingespielt werden. Im Kleinen finde das heute schon über Head-up-Displays statt, wo wichtige Infos in das Sichtfeld des Fahrers auf eine Scheibe eingespiegelt werden. Aber, so Kleinschmit, was als Erstes komme, "hängt auch davon ab, was der Kunde akzeptiert". Und da tappten alle Autohersteller derzeit im Dunkeln.

"Spiele könnten der Eisbrecher sein", so Alexander Mankowsky, Zukunftsforscher. Dabei könnten künftig die Innenmaterialien die Funktion des Bildschirms übernehmen. Keinesfalls sei die Virtualität vom autonomen Fahren abhängig, die ersten Anwendungen kämen viel früher. Und wie sieht es dann mit der Unfallgefahr durch Ablenkung aus? Mankowsky: "Es gibt große Unterschiede, auch kulturelle, was Menschen als Ablenkung betrachten. Idealerweise kann man alles wegschalten, was einen ablenkt." Das künftige Auto muss mehr Komfort bieten. "Die Kunst wird sein, nicht alles zu machen, was technisch möglich ist."

Die virtuelle Erlebniswelt werde auch nicht aufs eigene Auto beschränkt sein, sondern sich auch in Mietautos, Flugzeugen oder Eisenbahnen finden. Mankowsky bedauert, dass derzeit die Deutsche Bahn wenig Interesse daran hat.

Schutzengel-Offensive

Weltweit sterben 1,2 Mio. Menschen im Straßenverkehr. In der EU sind es knapp 26.000 Menschen. Neben dem menschlichen Leid verursacht dies auch einen gewaltigen finanziellen Schaden. In Westeuropa kostet jeder Verkehrstote die Volkswirtschaft 1 Mio. Euro, so eine Kölner Studie.

Als Unfallursache gilt zu 90 % menschliches Versagen. Vor allem nicht angepasste Geschwindigkeit, zu knappes Auffahren, Ablenkung, Drogeneinfluss. Dem wollen die Vereinten Nationen weltweit und die EU-Kommission bei uns durch eine verstärkte "elektronische Assistenz" alias Schutzengel für den Lenker begegnen. Ziel beider ist eine Halbierung der Straßenverkehrstoten bis 2020 gegenüber 2010. Während in den Schwellenländern in Massenautos Fahrassistenz wie ABS und Reifendruckkontrolle die Ausnahme ist, hat die Fahrassistenz in unseren Breiten einen sehr hohen Stand erreicht. Einerseits durch die Vorgaben von Crashtest- und Sicherheitsorganisationen, anderseits durch die Kunden, die sich in Autos mit Fahrassistenten laut Umfragen sicherer fühlen also ohne.

Das große Ziel der EU wie der Industrie ist das autonome Auto. Computer als Lenker sind nie abgelenkt, betrunken oder übermüdet, so die Botschaft. Mit autonomen Autos werde es überhaupt keine Unfälle mehr geben.

Aber wenn ein Unfall passiert, ist auch im autonomen Auto der wichtigste Lebensretter der Gurt. Apropos: 2014 waren bis zu 60 % der Verkehrstoten auf Autobahnen in der EU nicht angegurtet. Allein auf Schutzengel zu hoffen, ist zu wenig.

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