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Autoreifen

Den Reifenentwicklern von Goodyear über die Schulter geschaut

Anlässlich der neuen Reifengeneration gewährte der Hersteller ungewohnte Einblicke in die Entwicklung.

von Maria Brandl

10/22/2014, 11:15 AM

Die Winterreifenentwicklung gilt als Königsklasse unter Reifenkonstrukteuren. Dabei ist sie im Vergleich zu Sommerreifen eine relativ junge Disziplin – sie entstand in Europa erst in den Fünfzigerjahren. Tatsächlich ist ein guter Winterreifen ein äußerst aufwendig ausgetüftelter Kompromiss zwischen zahlreichen Eigenschaften, vom guten Bremsverhalten auf trockenem Asphalt über geringen Rollwiderstand (spart Sprit) bis zum optimalen Traktionsverhalten auf Schnee und Eis. Einer, bei dem so ein erfolgreicher Kompromiss laut dem aktuellen Winterreifentest von "Auto Motor und Sport" gefunden wurde, ist der Goodyear Ultra Grip 9.

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Er entstand in zweijähriger Entwicklungsarbeit von 200 Experten, wie im Goodyear Innovation Center in Luxemburg vor Kurzem gezeigt wurde. Das Center ist das größte Entwicklungszentrum von Goodyear außerhalb der USA und für Europa, Teile Asiens und Afrika zuständig. 1000 Ingenieure, Wissenschaftler und Techniker entwickeln und testen Pkw-Reifen der Marken Goodyear, Dunlop, Fulda, Sava und Debica sowie Reifen für Lkw, Baumaschinen, landwirtschaftliche Geräte.

Gegründet wurde das Innovation Center 1957, um den Auftritt in Europa zu stärken. Es ist untrennbar mit der Reifenfamilie "Ultra Grip" verbunden. 1971 ging der erste in Serie. Heuer startete "Ultra Grip 9". Insgesamt wurden bisher mehr als 60 Mio. Ultra-Grip-Reifen verkauft. Der Ultra Grip 9 wird in 33 Größen (155 bis 205), mit 55 bis 70 Querschnittshöhe und Durchmesser von 14 bis 16 Zoll angeboten. Bei der Veranstaltung wurde auch erklärt, welche Techniken was bewirken:

Die Gummimischung ist neben der Lamellentechnologie das wichtigste Kriterium für gute Wintereigenschaften. Die Weichmachermischung erhöht die Elastizität des Gummis bei Kälte, die dabei neben Pflanzenölen enthaltenen Harze erlauben einen besonders guten Grip auf nasser Fahrbahn.

Die Anordnung der Lamellen und Profilblöcke entscheidet über die Griffkanten, wovon die Kraftübertragung sowie die bessere Verzahnung des Reifens mit Eis und Schnee abhängt, was die Fahreigenschaften verbessert. Die nach außen sich verbreiternden Profilrillen sorgen bei Nässe für schnelle und gute Entwässerung aus der Bodenaufstandsfläche und senken das Risiko von Aquaplaning.

Die Amplituden-Höhe der Lamellen beeinflusst die Seitenführung und damit ebenfalls das Handling auf Schnee.

Erste Profile

Die ersten Entwürfe für ein neues Reifenprofil entstehen übrigens per Hand. Weil, so Goodyear-Techniker, die menschliche Hand noch immer viel feiner zeichnen kann als jedes Computerprogramm. Das Profil soll nicht nur möglichst gute Fahreigenschaften erlauben, sondern auch klar die "Familienzugehörigkeit" erkennen lassen, dazu Marketing-Anregungen wie etwa die Schneezeichen auf der Lauffläche, die verschwinden, sobald die Profiltiefe weniger als 4 mm beträgt. Hat der neue Reifen Prototypenstadium erreicht, werden umfangreiche Praxistests in Finnland, Frankreich, Schweiz und Neuseeland gefahren und Vergleiche mit Mitbewerbern gemacht. Zudem werden bis zu 70 Reifenspezifikationen bewertet und diverse Designs erprobt, beim Ultra Grip 9 waren es 14. Es gibt eigene Schneekristallexperten, die immer bessere Schnee-Simulationsprogramme entwickeln.

Das Ergebnis beim Ultra Grip 9 war eine Bestnote auf Schnee beim Auto Motor Sport Reifentest und ein zweiter Platz im Gesamtergebnis. Laut Goodyear verkürzt sich der Bremsweg damit gegenüber dem besten Konkurrenten um 4 %, was auch auf dem Testgelände mit Rutschbelag nachzufahren war. Besonders klar ist der Vorteil des Ultra Grip 9 auf rutschiger Fahrbahn bei Kurvenfahrten im Vergleich zu einem (sehr guten) Sommerreifen.

Ausblick

Nach dem Serienstart des Ultra Grip 9 arbeiten die Entwickler bereits an der nächsten Generation, denken aber auch über den "Reifen 2025" nach. Der könnte bunt sowie vernetzt mit Bordrechner und Smartphone sein, zudem biologisch abbaubar und nochmals verbrauchssparender. Nur eines erwarten Goodyear-Techniker nicht: Dass ein Winterreifen auf Schnee und Eis besser als ein Spike-Reifen sein wird. Aber die hat Goodyear ohnehin auch im Programm.

Auf die richtige Mischung kommt es an

Wir stellen an Reifen viele Forderungen, aber wie die dann unter Einhaltung der legalen Normen erfüllt werden können, gilt meist als "schwarze Magie". Goodyear ließ in seinem Forschungszentrum in Luxemburg einmal einen Blick in die Reifenküche werfen, mehr noch, die Journalisten wurden aufgefordert, einmal selbst eine Reifenmischung herzustellen. Noch dazu im sonst für Fremde hermetisch abgesperrten Labor des Reifenherstellers.

Jeder bekam eine Tabelle mit der Mengenangabe auf die Gramm genau und wog die diversen Zutaten ab: Polyester, Stearinsäure, Kieselsäure, Harz, Antioxidantien und so weiter. Die Zutaten kamen in einen Mixer. Dort entsteht durch die Reibung Wärme, die Zutaten verschmelzen zu einem übel riechenden Stoff, der dem Mixer entnommen und mit einer Walze flach ausgewalkt wird.

Spätestens hier zeigte sich, wer es mit den Zutaten nicht so genau genommen hatte. Als besonders abträglich erwies sich ein Zuviel an Kieselsäure – statt einer elastischen Matte gab es nur graue Brösel. Eine andere Mischung mit zu viel an Stearinsäure war schon etwa näher am Wunschergebnis, aber ebenfalls weit entfernt vom "Lehrbeispiel" der Goodyear-Techniker selbst, das tatsächlich aussah wie eine Gummimatte. Allerdings: Die Profis mischen mit auf Hundertstel Gramm genau abgewogene Zutaten, wie sie uns danach erklärten, und auch sonst dürften sie ein paar "Gewürze" mehr verwenden. Aber der Selbstversuch erhöhte doch spürbar bei allen das Verständnis für die komplexe Arbeit der Reifenentwickler.

Die nächsten Schritte auf dem Weg zum fertigen Reifen konnten dann aus sicherer Distanz beobachtet werden: Etwa wie die diversen Lagen des Reifen von Maschinen ähnlich wie bei einem 3-D-Drucker aufgetragen werden. Insgesamt besteht ein Reifen wie der Ultra Grip 9 aus 13 verschiedenen Lagen. Fürs Vulkanisieren kommt das "Rohmaterial" in entsprechende Backformen aus Aluminium. In sie werden vorher die Profile gepresst und geschnitten sowie die ca. 2400 Lamellen (zwei- und dreidimensionale) etwa für den Winterreifen Ultra Grip 9 eingebaut, um dem Reifen beim Vulkanisieren die gewünschte Form zu geben. Auch die Schneeflocke, die die Abnützung der Lauffläche anzeigt, wird bei dem Schritt eingeprägt.

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